Shishapangma | Luka Lindic & Ines Papert

Text: Luka Lindic / Fotos & Video: Luka Lindic & Ines Papert

Nach unserer Kyzyl Asker Expedition im letzten Jahr wurde aus Ines und meiner Seilpartnerschaft auch eine Lebenspartnerschaft. Mit jeder großen alpinen Besteigung, wie z.B. der Nordwände des Piz Badile und Grandes Jorasses, wuchs unser Appetit auf neue Expeditionen. Wir wussten bereits, dass wir als Team perfekt zusammenarbeiten können und wollten uns an etwas Größerem und Höherem versuchen. Gemeinsam in den Himalaya zu fahren, war also der nächste, logische Schritt. Das Tal auf der Südseite des Shishapangma ist sehr ruhig und bietet viel alpinistisches Potential. Wir waren beide sehr zurückhaltend bezüglich unserer Wünsche und diskutierten nur die Idee, dort ein paar Berge um die 7000 m zu besteigen und zu schauen, wie wir in großer Höhe miteinander zurechtkommen. Erst nach Monaten der Vorbereitung fanden wir den Mut, unsere Ziele zu kommunizieren. Wir wollten den 8027 m hohen Shishapangma über die Südflanke besteigen, wenn möglich auf einer neuen Route. Im Laufe des Winters verbrachten wir zur Vorbereitung viele Tage in den Bergen – und gewannen Selbstvertrauen durch die winterliche Begehung des gesamten Watzmann-Massivs in nur einem Tag.

Luka Lindic & Ines Papert

Kurz vor unserer Abfahrt in den Himalaya starb unser guter Freund Marc Andre Leclerc in den Bergen. Ich war in den letzten Jahren viel mit ihm geklettert und ich wusste, wie ähnlich unsere Risikobereitschaft und Gefahreneinschätzung war, wenn wir zusammen im Seil hingen. Das führte dazu, dass ich viel über die Gefahr in unseren ansonsten so wunderbaren Leben als Alpinisten und Kletterer nachdenken musste. Mit der richtigen Mentalität zu einer geplanten Expedition aufzubrechen, war plötzlich unglaublich weit weg. Am Ende entschieden Ines und ich, dass es richtig ist, den Tod eines Freundes in einer Umgebung zu verarbeiten, in der wir ihm am nächsten gewesen sind.

Mitte April bezogen wir unser Basecamp auf einer Höhe von 5250 m mit Blick auf die Südflanke des Shishapangma. Außer unserem Koch Nima und seinem Helfer Karsang gab es nur uns beide und die Berge. Das war genau das, was wir uns für diese Expedition gewünscht hatten. Wir wollten diese Berge so friedlich wie möglich erleben. Der darauffolgende Monat, den wir in und oberhalb des Basecamps verbrachten, war ziemlich hart für uns. Die ständigen, mit starken Winden kombinierten Schneefälle zerlegen regelmäßig unsere Zelte im Basecamp. Trotz des Wetters taten wir unser Bestes, uns so gut wie möglich zu akklimatisieren. Unser erstes Projekt war die Eröffnung einer neuen Route auf den Nyanang Ri (7071m).

Base Camp

Nach unserer zweiten Erkundungstour am Nyanang Ri, fühlten wir uns bereit für den Gipfel. Der Versuch endete jedoch mit einem Erlebnis, das unsere gesamte Expedition veränderte. In der Nacht vor dem Gipfelsturm schlugen wir unser Biwak auf einem Bergschrund unter sternklarem Himmel auf. Wir fühlten uns an einem sicheren Ort und gingen früh ins Bett, um genug Kraft für den kommenden Tag zu haben. In der Nacht begann es heftig zu schneien. Im Morgengrauen wurden wir abrupt von einem beängstigenden Geräusch und intensiven Vibrationen geweckt. Wir befanden uns mitten in einer Lawinenbahn. Glücklicherweise waren wir schnell genug und schafften es, uns selbst außer Gefahr zu bringen. Unser Zelt wurde komplett verschüttet. Als wir uns vom ersten Schreck erholt hatten, stellten wir fest, dass die Ausrüstung, die wir zum Abstieg brauchen würden, unter einer drei Meter dicken Schneedecke vergraben war. Also starteten wir einen zweistündigen Ausgrabungsmarathon – mit der ständigen Angst vor weiteren Lawinen. Glücklicherweise fanden wir die Ausrüstung, die wir brauchten, so dass wir den Abstieg beginnen und schnell in die Sicherheit des Basecamps zurückkehren konnten.

Biwak unter sternklarem Himmel

Ein paar Tage später, als wir uns einigermaßen von dem Schock am Nyanang Ri erholt hatten, bestiegen wir den Pungpa Ri (7450m), da wir für den Shishapangma noch nicht gut genug akklimatisiert waren. Es gab ein 2-Tage-Fenster zwischen den Schneefällen, aber wir hatten noch immer viel Wind und eisige Temperaturen. Wir entschieden uns dennoch für einen Versuch. Am ersten Tag starteten wir von Basecamp aus, ließen das vorgeschobene Basislager aus und stiegen weiter bis auf 6500 m, wo wir nach einem langen, erfolgreichen Tag unser Zelt aufschlugen. Am nächsten Tag brachen wir früh in einen windigen, bitterkalten Morgen auf. Die Bedingungen waren wirklich schwierig und Ines sagte beim Aufbruch, dass ihr sehr kalt sei und sie sich schwach fühle. Ich folgte ihr schweigend, weil ich spürte, dass sie trotzdem weitergehen wollte. Doch schon nach kurzer Zeit mussten wir umkehren. Ines gab alles, was sie hatte, aber da wir am vorherigen Tag wie auch am Morgen nur wenig essen konnten, hatte sie keine Energie mehr. Wir entschieden uns für den Abstieg zurück zu unserem Zelt und warteten dort auf den Sonnenaufgang, bevor wir den Abstieg zum Basecamp fortsetzten. In der nächsten Zeit bekamen wir kein weiteres für eine Besteigung geeignetes Wetterfenster. Daher packten wir unsere Sachen und kehrten eine Woche früher als geplant nach Hause zurück – mit zwei denkwürdigen Erlebnissen im Gepäck.

Luka Lindic

Meine frühere Freundin war eine Freizeitkletterin und damals war ich mir 100% sicher, dass ich niemals mit meiner Partnerin auf eine ernsthafte Expedition gehen wollte. Seitdem hat sich mein Leben extrem verändert und ich zweifelte keine Sekunde daran, dass dieser Trip die richtige Entscheidung war. Trotzdem war ich neugierig, wie es funktionieren würde. Aufgrund der Tatsache, dass Ines eine Mutter ist, habe ich intensiver über die möglichen Risiken einer solchen Expedition nachgedacht, beziehungsweise wie wir sie noch besser vermeiden können. Ich weiß, dass der Trip aus genau diesen Gründen für Ines noch viel emotionaler war.

Der größte Konflikt, mit dem ich während dieser Expedition zu kämpfen hatte, war das immense Ausmaß an Leid, das mit dieser Art Alpinismus verbunden ist – besonders bei den harten Wetterbedingungen, bei denen wir unterwegs waren. Auf der einen Seite wusste ich, dass wir beide auf dieser Expedition waren, um alles zu geben, und es liegt in Ines Natur, hart zu kämpfen. Auf der anderen Seite gab es Momente, in denen es sehr schwer für mich war, Ines leiden zu sehen. Ich wollte sie davon abhalten oder ihr die harte Arbeit abnehmen. Die Balance für diese Gefühle zu finden, war für mich bei dieser Expedition besonders schwierig. Wir haben viel darüber gesprochen – und das war für uns als Team ein wichtiger Lernprozess.

Die Nachwirkung der Lawine

Wir haben die Lawine am Nyanang Ri unverletzt überstanden, aber es hat uns mehr belastet, als man vielleicht denken könnte. Noch tagelang begleitete uns eine seltsame Gefühlsmischung aus dem Glücksgefühl, überlebt zu haben, und dem bedrückenden Gefühl, offensichtlich eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Es gibt keinen Zweifel daran, dass wir in diesem Moment das Glück auf unserer Seite hatten, aber keiner von uns möchte sich beim Klettern aufs Glück verlassen. Ich kann nicht aufhören, an Marc-Andre zu denken und zu spekulieren, ob es vielleicht verpasstes Glück war, dass ihn für immer am Berg behalten hat.

Die Dinge liefen bei dieser Expedition für uns nicht nach Plan und in solchen Situationen wäre es leicht, eine Entschuldigung dafür zu finden, unsere Erwartungen, alles in purem Alpinstil zu machen, runterzuschrauben. Es war für Ines der erste Versuch einen 8000er zu besteigen und es hat definitiv nicht so funktioniert, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir haben keine der Besteigungen geschafft und hatten sehr schwierige Momente – sowohl als Seilpartner als auch als Paar. Aber wir haben uns gemeinsam durchgekämpft und sind, was das Wichtigste ist, gesund nach Hause gekommen.

Es ist ein gutes Gefühl, unser Scheitern zu akzeptieren und genauso miteinander zu teilen, wie wir den Erfolg miteinander geteilt hätten. Das ist nicht selbsverständlich.