Text und Fotos: Nina Caprez

Mit mir unterwegs zu sein kann ganz schön anstrengend sein – vor allem, wenn ich große Pläne habe.
In der vergangenen Saison konnte ich das Klettern nicht voll ausleben. Zuerst hatte ich mir den Knöchel verletzt, danach spielten Wetter und Timing nicht so gut mit, so dass ich zwar einige schöne Sachen machen konnte, aber nichts wirklich herausragendes.
Um das zu ändern, fuhr ich am 11. Oktober ein zweites Mal ins Yosemite Valley. Im Vergleich zu meinem ersten Aufenthalt im Frühjahr waren die Wände trocken, was mich in helle Aufregung versetzte.
Mein Freund Benoit und ich hatten keine fixen Pläne. Das Einzige, was wir unbedingt machen wollten, war die „Nose“ zu klettern – und das taten wir. Es war unsere erste, gemeinsame Big Wall und Sie können sich vorstellen, wie schwierig das war… Das Klettern lief wirklich gut. Ich führte und kletterte den größten Teil der Route frei. Aber das Portaledge hochzuziehen und aufzubauen kostete uns ziemlich viel Energie – psychisch und physisch.


Nach drei anstrengenden Tagen erreichten wir den Gipfel – aber irgendwie war das Gefühl, die selbe Route geklettert zu sein, wie vielleicht hundert andere Teams pro Jahr, nicht so befriedigend, wie wir erwartet hatten.
Allerdings war ich überrascht, wie gut ich in Form war – was es jedoch noch schwieriger macht, mit mir unterwegs zu sein. Es bringt jedes Mal den vollkommen egoistischen Kletterer in mir zum Vorschein, der nur an extreme Klettereien und Leistung denkt. Benoit hatte eine harte Zeit mit mir als Partner.
Ich kletterte ein paar Tage lang zusammen mit der „Klettermaschine“ Barbara Zangers und wir meisterten ein paar schwierige Einseillängentouren. Außerdem kletterte ich die ultra-klassische Mehrseillängenroute « rostrum » mit Ryan, einem Freund aus der Region.


Irgendwie beruhigte das meine Nerven, so dass ich wieder klar erkennen konnte, was ich wirklich wollte: Am El Cap richtig gut klettern – mit der Person, die ich liebe. Das Bigwall-Klettern mit deinem Partner ist eine echte Herausforderung, weil es harte Arbeit ist und so viele intensive Emotionen mit sich bringt.
Ich wollte es unbedingt und Benoit war einverstanden, an meiner Seite zu sein. Ich wählte die Route ‚El Niño‘, hauptsächlich, um die Menschenmassen in den Routen ‚Freerider‘ und ‚Salathé‘ zu meiden. Diese beiden Routen mit einem gemeinsamen Startpunkt und der Nose sehen von unten aus wie zwei Highways.

El Niño liegt auf der Westseite des El Cap und ist nicht mit Hilfsmitteln ausgestattet, so dass dort nur (leistungsstarke) Freeclimber unterwegs sind. Die Route startet direkt mit zwei 13 a’s und einer 13.b, gefolgt von einigen 12en und fünf weiteren 13en. Es ist keine typische Spaltenkletterei, sondern mehr Crimp- und technische Kletterei mit Überhängen und seeeehr langen Runouts.

Die ersten harten Seillängen waren beängstigend. Die Bohrhaken waren an seltsamen Stellen platziert und in einigen schwierigen Passagen sehr weit auseinander. Zum Glück bereiteten sich zwei starke, schwedische Kletterer ebenfalls auf die Route vor, weshalb es Kalk an den Griffen und einige Quickdraws an den gefährlichen Stellen gab.
An diesem Tag versuchte ich die drei schwierigen Seillängen zweimal – war aber weit davon entfernt es richtig hinzukriegen.
10 Tage später, nachdem ich mich der Frage gestellt hatte, wie egoistisch ich wohl sein kann, packten wir unsere Haulbags mit Proviant und Wasser für 8 Tage in der Wand. Nachts schlugen wir unser Biwak am Einstieg der Route auf – und überraschten die startklaren Schweden. So kam es, dass wir alle am gleichen Tag – und mehr oder weniger zur gleichen Zeit (6 Uhr morgens) – in die Route einstiegen, um die ersten schwierigen Seillängen in der kühlen Morgenluft zu klettern. Es war Ende Oktober, aber unglaublich heiß!


Stefan und Alexy kletterten vor mir und meisterten es – wie ich auch, mit Benoit, der hinter mir sicherte und jümarte. Wir waren alle in Hochstimmung, wurden aber schnell wieder still, als wir anfingen unsere schweren Haulbags hochzuziehen. Benoit und ich mussten nochmal umpacken, weil wir feststellten, dass wir nie und nimmer acht Tage für die 28 Seillängen brauchen würden.
Trotzdem waren unsere Taschen so schwer und beim Hochziehen lief alles schief, so dass wir am Ende dieses ersten Tages den Tränen nahe waren. Die Haulbags blieben ständig irgendwo hängen und wir mussten an einigen Bohrhaken ein paar Seile abschneiden. Das Glück war einfach nicht auf unserer Seite – da waren wir uns einig. Für die Nacht bauten wir unser Portaledge an der Sicherungsstelle 7 auf und ich war bereit alles aufzugeben und am nächsten Tag abzuseilen.
Ich fühlte mich total schlecht, weil die Route für meinen Geschmack zu viel “Freestyle” war – und ich Benoit mit in diese schwierige Wand genommen hatte. Ich musste einsehen, dass es schwer für ihn werden würde und… ich wurde irgendwie realistisch und die Route schien eine Nummer zu groß für uns zu sein.
Die Nacht auf einem Portaledge am El Cap zu verbringen, besitzt einen ganz eigenen Zauber. Ich schlief tief und fest und als wir am nächsten Tag erwachten, schien die Welt eine andere zu sein. Wir schauten nach oben und unten und plötzlich überfiel uns dieses tiefe Glücksgefühl.

Wir waren beide voller Freude, lachten viel und es schien logisch, dass unser Weg nach oben und nicht nach unten führte.
Wegen des mühsamen Hochziehens unserer Ausrüstung, dauerte alles lange und wir quälten uns bis zu dem sicheren Felsvorsprung am Pitch 10, den wir gegen 14 Uhr erreichten. Die Sonne knallte und die nächsten Seillängen waren eine 13.a und 13.c.
Team Schweden hatte diese Seillängen bereits am frühen Morgen geklettert, im Schatten und bei kühleren Temperaturen. Sie mussten nur noch hochziehen und weiterklettern. Wir chillten alle vier auf diesem Felsvorsprung und versuchten mit unseren Isomatten ein bisschen Schatten zu erzeugen.

Dann kamen meine Nerven zurück und ich war bereit, wieder hart zu klettern. Und das machten wir. Beide Seillängen waren sehr boulderig und nach langem Bemühen die Routen auszuarbeiten, schaffte ich beide beim zweiten Versuch – die letztere mit Stirnlampe bei Dunkelheit. Benoit war total begeistert und wir schlugen unser Lager mitten in der Wand auf – kein Felsvorsprung, nur drei Bohrhaken, ein Portaledge, zwei große Haulbags, eine Poop Tube und wir.

Tag 3 war der beste und anstrengendste Tag für mich. Ich kletterte an diesem Tag sieben Seillängen onsight, inklusive der sehr schwierigen ‚Endurance Corner‘ und dem ‚Black Cave‘, einem 13.a Dach. Ich habe keine Ahnung, wie das funktionierte. Ich glaube ich war high. Nachdem wir unsere Ausrüstung an diesem Tag das erste Mal hochgezogen hatten, fühlten sich unsere Taschen ein bisschen leichter an. Damit wir ein bisschen effizienter klettern konnten, stieg ich vor und fixierte das Seil. Während Benoit jümarte, zog ich die Haulbags hoch. Auf diese Art und Weise konnte ich alles herrichten und war startklar für die nächste Seillänge, sobald Benoit ankommen würde.
An diesen Tag kletterte ich außerdem einige verrückte Kamine und coole Seillängen wie ‚Slalom‘. Alle waren im 12ten Grad und ich war wieder einmal froh, der Kalkspur der starken Schweden folgen zu können, die immer zwei Seillängen vor uns kletterten.
In der vierten Nacht schliefen wir alle vier auf einem riesigen Felsvorsprung unterhalb des zweiten Dachs, dem ‚Cyclops Eye‘.
Benoit und ich hatten nicht viel Big Wall-Erfahrung und wir waren ziemlich sicher, dass wir es beschissen machen. Aber – als wir Team Schweden zuschauten – realisierten wir, dass wir es gar nicht so schlecht hinkriegten. Ich glaube, das Hauling ist und bleibt einfach eine schwere Arbeit – egal wieviel Erfahrung man hat.

Um den Aufstieg zu erleichtern, nahmen wir nur das für unser Wohlbefinden Allernötigste mit: einen Kocher, gutes LYO Food, einige Desserts, Handcremes für unsere geschundenen Hände. Einige der Dinge, die wir an der Nose dabei hatten, ließen wir am Boden zurück, wie z.B. zusätzliche Kleidung und unsere Thermarest-Matratzen.
Ich finde, der Oktober ist eine gute Zeit, um am El Cap zu klettern. Zum einen ist es etwas kühler als im Sommer (sollte es zumindest) und die Tageslänge ist perfekt. Wir kletterten mehr oder weniger von 8 bis 18 Uhr und das war genug – so blieb uns genügend Kraft für die folgenden Tage.
Am vierten Tag kletterte ich wieder alle Seillängen onsight, inklusive der wirklich coolen ‚Dolphin‘, die mitten durch das zweite große Dach führt. Dann quälten wir uns alle mit der letzten Seillänge des Tages, ‚Lucy is a Labrador ‚, der letzten 13.a der Wand, fünf Seillängen unterhalb des Gipfels.

Ich hatte gehört, dass diese Stelle häufig nass ist – und so war es auch diesmal. Alexy, Stefan und ich brauchten mehrere Versuche, um diese Stelle mit nassen Händen zu meistern. Aber letztendlich haben wir es alle geschafft – wegen des Team Spirits, der lauten Jubelschreie und der persönlichen Verpflichtung, so kurz vor dem Gipfel alles zu geben!
Es war so ein genussreicher Moment, dass Benoit und ich – statt im Dunkeln das letzte Stück zum Gipfel des El Cap zu klettern – eine weitere Nacht in der Wand verbrachten. Wir schliefen an einem der tollsten Plätze der Wand, dem Iglu, einem enormen Felsblock.

Diese Nacht gehörte uns. Das geteilte Leid war vorbei und die Freude überkam uns. Ich war so dankbar, meine erste Route am El Cap zusammen mit meinem Freund geschafft zu haben. Ich weiß genau, dass ich das eines Tages meinen Kinder erzählen werde!
Nachdem wir die letzten drei Seillängen zum Gipfel geklettert waren, wieder festen Boden unter den Füßen hatten und zurück nach unten liefen, fragte ich Benoit, ob es ihm Spaß gemacht habe. Mit einem kalten Bier in der Hand antwortete er: „Weißt du Nina, jeder sucht nach einer anderen Befriedigung im Leben. Mir geht es bei dem, was wir gemacht haben nicht um Leistung oder den sportlichen Gesichtspunkt. Mir hat es einfach Spaß gemacht, vier Tage lang mit dir in so einer großen Wand unterwegs zu sein. Wirklich.“
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