Die guten Probleme

Text: Mike Berard

Fotos: Ryan Richardson

Gemeinsame Probleme können uns zusammenbringen. In der Politik finden wir Gemeinsamkeiten, auf die wir bauen können, und versuchen unser Bestes, um zusammenzuarbeiten. In Beziehungen gehen wir Kompromisse ein, um Frieden und Ausgeglichenheit zu finden. Und beim Klettern teilen wir Beta in der Hoffnung, gemeinsam oben zu stehen. Es gibt immer mehrere Lösungswege und nicht nur eine Person, die in der Lage ist, die Antwort zu finden. Der Diplom-Ingenieur Daniel Yurkewich und der Kletterer Jeremy Ritchie entdeckten ihr gemeinsames Problem an einem Boulderblock in Tobermory, Ontario, Kanada. Daniel, ein Techniker für Chirurgieroboter aus dem nahe gelegenem, kanadischen London, traf Jeremy zum ersten Mal, als er mit seiner zukünftigen Frau Jill Smith auf der Bruce Peninsula kletterte. Während sich die drei an komplexen Boulderproblemen zwischen Georgian Bay und Lake Huron versuchten, sprach Jeremy Ritchie, der vom Knie abwärts amputiert ist, mit Jill über seine persönlichen Herausforderungen. Was ihn besonders beschäftigte, war der Kletterschuh, der an seiner Beinprothese befestigt war. „Alles, was ich damals hatte, war eine einfache Allround-Prothese“, sagt er. „Sie war nicht geeignet, um Risse zu klettern.“ Daniel war in Hörweite und wurde auf das Problem aufmerksam.

„Jeremy sagte, er wünschte sich einen Kletterschuh, der für einen leistungsorientierten Sportler geeignet ist“, erinnert sich Daniel. „Ich habe das gehört und hatte direkt ein Design im Kopf und wusste, wie man ein 3D-Modell drucken könnte.“

In den letzten sieben Jahren hatte Daniel ein Arsenal an Kompetenzen entwickelt, das ihm in die einzigartige Position brachte, um Jeremy zu helfen. Als Master of Engineering Science der University of Western Ontario beschäftigte er sich mit dem Design und 3D-Druck von chirurgischen Instrumenten. Nach der Universität arbeitete er als Techniker für chirurgische Roboter. Außerdem kletterte er seit zwei Jahren. Das war die perfekte Mischung. „Ich hatte alle notwendigen Fähigkeiten“, erinnert er sich „und dann stellte ich mir die Frage: „Warum nicht ich?“

Jeremy zeigte Daniel Skizzen von dem, was er sich vorstellte: eine nach vorne spitz zulaufende Form, nicht zu rund. Eine filigrane Form. Mehr ein Fuß, als ein Schuh.

Im Zehenbereich wollte ich weniger Material“, sagt Jeremy. „Es war mir egal, wie das Ergebnis aussieht, solange es den Job erledigt.“

Ohne die Fähigkeit, das Sprunggelenk zu beugen, sind die Möglichkeiten eines Kletterers eingeschränkt. Dieses Problem war das kritischste. „Beim Heelhook, legt der Kletterer seinen Ferse auf einen Tritt und zieht aktiv mit seinem Fußgelenk, um den Halt zu verbessern.“

Die beiden Kletterer vergrößerten die Ferse und krümmten die Zehen. Das richtige Material war entscheidend, denn der scharfe Fels erforderte eine überragende Festigkeit. Der 3D-Druck ermöglichte, dass das extrem starke Edelstahldesign zugleich solide, filigran und pointiert modelliert werden konnte. Das war mehr als eine kosmetische Angelegenheit. Es würde den Unterschied zwischen Erfolg oder Misserfolg auf dem kniffligen Sedimentgestein im Niagara Escarpment machen.
Wiederholtes Scheitern während des Prozesses. Das war vertrautes Terrain für beide Männer. Jeremy arbeitet in der Produktion. Er montiert Querträger für Armaturenbretter aus Druckguss und hat früher den heiklen Bereich der Erprobung von Fahrzeugsitzen überwacht.
Die gemeinsame Erfahrung im Design verband die beiden. In erster Linie bestimmte aber die gemeinsame Leidenschaft und Sprache des Kletterns den Prozess.

„Am Anfang war es schwer, Zeit zum gemeinsamen Klettern zu finden“, sagt Daniel. „Er hatte den Prototyp erst mal auf zehn Testrouten ausprobiert, bevor ich mit ihm klettern durfte. Und jedes Mal erzählte er mir, was er noch ändern musste.“

Wahres Design löst Probleme, aber bevor es das kann, muss es scheitern. „Manchmal muss man es einfach durchziehen“, erklärt Daniel. „Du kannst dich nicht in deinem Bürostuhl zurücklehnen und überlegen, ob du es perfekt hinbekommst oder nicht. Du musst etwas erschaffen, es ausprobieren, benutzen und im Anschluss an den Feinheiten arbeiten.“ Scheitern als Erfolg. Auf die Frage, was für ihn den Reiz von Design, diesem langwierigen Prozess von Wiederholungen, ausmacht, lacht er: „Du willst, dass ich die Denkweise eines Ingenieurs beschreibe?“

„Ich habe zuerst Mathematik studiert“, sagte er. „Da löst man Probleme mit einem bekannten Ansatz, einer Formel: Hier ist das Problem, hier ist die Lösung, jetzt finde den Weg dazwischen.“ Diese Vorgehensweise lag ihm nicht. Er wollte seine eigenen Lösungen für das Problem finden. Im zweiten Studienjahr wechselte er in zu den Ingenieuren.

„Du fängst immer noch mit einem Problem an“, erklärt er. „Aber es gibt eine Vielzahl von Lösungen. Das hat mich auch beim Klettern angezogen. Denn auch da gibt es immer mehrere Möglichkeiten, das gleiche Problem zu lösen.“

Seit Beginn des Projekts im Jahr 2017 haben sich die beiden Kletterer immer mehr angefreundet. „Es war so toll, zu sehen, wie Jeremy den Fuß einsetzte. Er tat genau das mit ihm, was er von ihm erwartete.“

Jeremy ist ein großartiger Kletterer“, sagt Daniel. „Es sieht so aus, als ob der Fuß funktioniert. Er vertraut ihm.“ Jeremy stimmt zu: „Es gab viele Dinge, die ich vorher nicht tun konnte, die ich jetzt tun kann. Ich konnte mein altes Bein nicht entlasten. Es musste immer Gewicht darauf sein. Jetzt kann ich entweder in einer Restposition pausieren oder einfach durchziehen, anstatt den Fuß schon vorher in der richtigen Stellung zu platzieren.“

Der Fuß befindet sich zwar noch in der Beta-Phase und es gibt auch keine Pläne für eine Kommerzialisierung. Die beiden Kletterer und Designer sind von ihrem Fortschritt aber sehr begeistert. Daniel hat eine GoFundMe-Kampagne ins Leben gerufen, um die hohen Kosten für den 3D-Druck zu decken. Die National Canadian Adaptive Climbing Society ist auf das Projekt aufmerksam geworden, spendete Geld und lud de beiden ein, bei einer Veranstaltung in Toronto zu sprechen. Sie hoffen, dass die Berichterstattung andere Kletterer ermutigen wird, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, um bei den Tests zu helfen.

Wir wollen, dass der Fuß den Menschen hilft“, sagt Yurkewich. „Meine Lieblingsbeschäftigung in meiner Universitätskarriere war das Entwerfen von Dingen und die Möglichkeit, einer Person über eine Hürde zu helfen, mit der sie seit Langem zu kämpfen hat. Das macht den ganzen Prozess für mich so wertvoll.“