Das irische Glück

Text: Will Gadd

Fotos: John Price

„Klettern ist Erholung, Erholung ist britisch, und wir sind keine Briten!“ Das ist die mit Bier getränkte Stammtisch-Erklärung, die mir fröhlich auf meine Frage gegeben wurde, warum so wenige der gigantischen Türme und wunderbaren Linien entlang der irischen Westküste geklettert wurden.

Aber wie ist das Klettern? Denkt an euer nächstgelegenes Lieblingsklettergebiet. Stellt euch vor, dass ihr dort oder an irgendeinem anderen Weltklasse-Gebiet auftaucht und nur sehr wenige der Routen geklettert wurden. Es gibt sogar Felssäulen im Meer, die nur auf ihre Erstbesteigung warten. Dann fügt ihr noch zahllose Pubs, gutes Essen, freundliche Einheimische und eine lange interessante Geschichte hinzu. Diese erklärt, warum an einem Ort, das Mitglied in der EU und ein Land der ersten Welt ist, so wenig geklettert wurde. Dieses Bild stammt von unserem ersten Klettertag an Irlands höchstem (bis zu diesem Bild) unbestiegenen „Sea Stack“.

Diese 60-Meter-Seillänge begann mit einer der besten Felsqualität, die ich je geklettert bin. Sie endete mit meinen tief in den grünen „Turf“ Irlands versunkenen Fingern. Wenn ich an Turf denke, denke ich an Erde. Aber in Irland sind es im Grunde genommen verdichtetes Gebüsch, Schafskot und genug Feuchtigkeit, dass irgendwie nichts wirklich verrottet und zu Erde wird. Man kann das Zeug trocknen und verbrennen. Das ist die traditionelle Art, Häuser in einem felsigen Land mit relativ wenigen Bäumen zu beheizen.

Der Turf auf diesem unbekletterten Turm war frei von Schafexkrementen. Ich konnte keinen soliden Felsblock finden, an dem ich meinen Kletterpartner Iain hochsichern konnte. Also kletterte ich über den Abgrund ein Stück hinunter, grub meine Füße ein und schrie: „Stand!“ Ich benutze diese Taktik viel beim Führen und Alpinklettern, aber hier habe ich mich auf die Reibung des Turfs verlassen, um mir zu helfen, einen Sturz zu halten; und es funktionierte. Iain stürzte als er einen Block von der Größe eines Schafes herauszog, der weit unten mit großen Spritzern ins Meer tauchte. Während die letzten zehn Meter zu den schlimmsten Bruchhaufen gehörten, die ich je bestiegen habe, waren die ersten gut 40 Meter absolut einwandfreies Klettern in Irlands strahlender Sonne. Ja, es stimmt – es gibt Sonne in Irland!

Auf halber Höhe am Chaos Stack hatte ich ein Dauergrinsen im Gesicht. Seit mehr als 35 Jahren richte ich neue Routen ein. Diese war etwas Besonderes. Alles begann mit einem Anruf eines schottischen Kletterers, von dem ich noch nie gehört hatte (Iain) und fragte, ob ich ein paar Türme, sogenannte Sea Stacks, vor der Küste Irlands klettern wollte. Die Bilder waren in keiner guten Qualität, aber ich liebe Sea Stacks. Sie sind wie das Gegenstück zu Wüstentürmen, wie Eisberge aus Fels, die gegen die Elemente kämpfen. Es ist einfach cool, auf Eisbergen, Wüstentürmen oder Sea Stacks zu stehen. Ich sagte ja zu Iains E-Mail, aber es dauerte noch ein paar Jahre, bis es losging. Ich wünschte, ich wäre schon früher dorthin gereist.

Ich glaube, das war die 5.9 (5c), in der ich am meisten Spaß in meinem Leben hatte. Fürs Protokoll: Ihr könnt die letzte Seillänge dieser neuen Route auf den Pyramid Stack mit Füßen klettern. Es macht aber viel mehr Spaß, sie über dem kristallklaren Wasser der irischen Küste baumeln zu lassen. Ihr müsst nur hochkommen. John Price und ich haben in den letzten Jahren viel zusammengearbeitet und eine Art telepathische Verbindung entwickelt, um gute Fotos zu machen. Das hier ist von der Erstbesteigung. Normalerweise konzentriert man sich bei der Erstbesteigung auf das Klettern, schaut, dass man hochkommt, und posiert nicht. Aber hey, es hat so viel Spaß gemacht und durch die Verschlussgeräusche von Johns Kamera wusste ich, dass er es cool fand. Ich bin Auslöser-Junkie, John ist der Dealer und unsere gemeinsame Droge ist das Klettern.

Hmm, vielleicht ist es möglich, diesen Fingerriss (5.11/7a) zu klettern, sich rüber in den Handriss zu schwingen und dann den Bogen über dem Meer zu klettern … Und zum Ausruhen zu stemmen? Wir haben „Zustiege“ oft mit dem Kajak gemacht, weil es am einfachsten war, viele Felsen in kurzer Zeit anzuschauen. Zahlreiche Routen können aber auch zu Fuß erreicht werden.

Yeah, es geht!! Auf diesem Küstenabschnitt über zehn Kilometer exzellenter Klippen gibt es rund sechs Routen. Die rechte Säule wurde eben sowenig geklettert wie irgendetwas anderes auf diesem Foto. Iain lachte mich aus, wenn ich total verrückt wurde und begeistert wegen der schier endlosen Möglichkeiten im Kreis gepaddelt bin, wie ein Hund, der einem viel zu großen Stock ins Wasser hinterher springt.

Ein Grund, einen Fotografen mit auf einen Trip in ein neues Klettergebiet zu nehmen, ist es gute Fotos für Instagram zu machen. Ich musste nach dem Abseilen nicht wirklich wieder das Seil hochklettern, aber es machte Spaß und sah nach einer coolen Aufnahme aus. Also legte ich los und wir hatten einen super Schuß im Kasten.

Kopfklemmer! Vor ein paar Jahren habe ich mich dazu entschieden, beim Klettern immer einen Helm zu tragen, weil die modernen Helme leicht und nicht zu groß waren. Nach zu vielen Erlebnisse mit Steinschlägen, auch in relativ gut geputzten Sportgebieten, entschied ich mich dafür. Hier hängt er an meinem Klettergurt, weil ich mit dem weichen Plastik mit teurem Red Bull Logo nicht genug Reibung hinbekommen habe. Das war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen der Helm gestört hat. Egal, ob man eine schwere Sportroute rotpunktet oder beim Tradclimbing in der Wüste ist, ein Helm ist einfach immer sinnvoll. Hier musste ich meine eigene Regel brechen, weil ich die kurze Pause in dieser Position gebraucht hab. Vielleicht nehme ich nächstes Mal einen Helm mit Kletterschuhgummi mit.

Mit 16 Jahren lernte ich Rissklettern im Granit von New Hampshire. Seither liebe ich diese Spielart des Kletterns. Ich liebe die technische Herausforderung der Balance zwischen gut platziertem Material und aufgepumpten Armen und eben das Material perfekt zu platzieren, anstatt zu hetzen und mich dann zu pushen, ohne unkontrolliert zu fallen. In diesem Foto kämpfe in einem überhängenden, sich öffnenden Riss, der im Bereich 5.11 (7a) war. Wäre das in den Smoke Bluffs bei Squamish oder in den Gunks bei New York, würden hier jedes Wochenende zig Seile hängen. Aber in Irland? Es war eine der besten Erstbegehungen im Granit, an der ich die Ehre hatte, meine Blutspur zu hinterlassen. Einfach gut!

Ich kann an Iains Körperhaltung sehen, dass er bereit ist, falls ich falle. Das kann man entweder negativ sehen, weil er denkt, ich schaffe es nicht oder positiv, weil er bereit ist, meinen Sturz zu halten. Beim Sportklettern kann man einfacher mit verschiedenen Partnern klettern. Bei schwierigen Tradrouten möchte man jemanden am anderen Seilende, der genau weiß, was gerade abgeht und zur Not auch ins Meer springt, damit du nicht so weit fällst. Iain ist Ausbilder der irischen Bergführervereinigung und ein absolut zuverlässiger Kletterpartner.

Die Gehzeiten sind ein wichtiger Bestandteil vom Klettern direkt am Meer. Iain und ich wollten diese neue Route an der steilen Seite dieses Turms klettern und schauten, dass wir dort bei Ebbe ankommen. Die Wellen waren groß und schwappten immer wieder über die schroffe, mit Seepocken überzogene Landbrücke. Wir mussten das Wasser in der Ferne beobachten und genau zur richtigen Zeit loslaufen, bevor das nächste Set Wellen die Landbrücke in eine schäumende Waschmaschine verwandelte.

Bei Flut hämmern die Wellen auf den Absatz ein, auf dem Iain sichert. Der Höhenunterschied zwischen Ebbe und Flut beträgt hier mehr als zwei Meter. Ich dachte, diese Rissverschneidung würde hart werden, aber es stellte sich heraus, dass es eine der schönsten Routen im Bereich 5.8 (5b+) war, die ich je geklettert bin. Zwei Seillängen von bestem Fels über dem tosenden Meer – perfekt!

Man kann nichts anderes behaupten, als dass Irland wunderbare Klettermöglichkeiten hat. Einfach gut!

Wüstentürme … Sea Stacks … Eisberge … Gipfel … Alle haben etwas für sich. Je ausgesetzter sie sind, desto cooler.

Die Landbrücke, über die wir gekommen waren, war komplett überflutet. Also mussten wir schwimmen. Wie Surfer mussten wir wieder die Sets beobachten und genau abpassen, wenn das Wasser am ruhigsten war. Ich hatte glücklicherweise einen Mustang Trockenanzug dabei, was das ganze zwar angenehmer machte, aber für mich als Gegenteil eines Seemannes immer noch ziemlich abgefahren war. Ich liebe Fels, Eis und Flüsse, aber das Meer scheint für mich ziemlich heimtückisch zu sein. Michael Reardon starb, als er an einer Klippe solo kletterte und ihn eine Welle erfasste und mit ins Meer zog. Ich musste an seine mutige Solobegehung denken, als wir die Wellen abpassten: Du kannst das Meer nicht bezwingen, aber ihm aus dem Weg gehen. Wir konnten ihm aus dem Weg gehen und kraxelten schließlich über eine leichte Verschneidung zu einem Leuchtturm.

„Ich hatte meinen leichten Gin Glider, in der Hoffnung die Küste abzufliegen mit nach Irland genommen. Auch wenn ich nicht sehr optimistisch war, weil es so viel regnet. Im Sommer gibt es aber immer wieder längere Perioden ohne Regen. Im Meereswind trocknet der Granit zudem sehr schnell. Bei uns schien jeden Tag die Sonne (Ich hatte sogar Sonnenbrand!) und Irland liegt so weit im Norden, dass die Tage superlang sind. An diesem Abend holte ich meinen Gleitschirm heraus und wollte ein bisschen um diesen coolen alten Verteidigungsturm gleiten. Stattdessen flog ich aber stundenlang über Schafe, Turf und exzellente Boulder, die nur auf die angechalkten Hände von irgendjemandem warten. Ich habe Tausenden von Stunden in meinem Leben damit verbracht, mich so zu erholen. Den vielen ermutigenden Rufen aus den Autos zur Folge könnte Erholung in Irland bald sehr beliebt werden. Ich bereue keinen einzigen Tag, den ich beim Klettern oder Fliegen war oder an dem ich neue Orte mit coolen Leuten entdeckt habe.

Ein riesiges Dankeschön an Iain von Unique Ascents, John Price von Arc’teryx, Tourism Ireland und Red Bull, die diesen Trip ermöglicht haben. Ich hoffe, ihr alle habt oder findet die Motivation eure eigenen, neuen Routen zu erkunden und etwas über Geschichte zu lernen.“