The Making of a Guide: Ross Berg
Die meisten 15-Jährigen haben keine Ahnung, was sie einmal beruflich machen wollen und noch weniger arbeiten in diesem Alter bereits darauf hin. Aber Ross Berg, der heutige Besitzer von Altus Guides, war noch nie ein Freund von Konventionen.
Text: Cayley Thiessen | Fotos: Jessy Braidwood, Ross Berg
Ross Berg kann sich noch genau an den Moment erinnern, an dem die Entscheidung für seine berufliche Laufbahn gefallen ist. Er war 15 und mit seinen Eltern Squamish zum Klettern unterwegs. Er hing in einer Route und versuchte die Nähmaschine in den Beinen zu kontrollieren, die ein neuer Sport manchmal mit sich bringt. „Ich war nervös, weil ich so weit oben war. Gleichzeitig fühlte ich mich sicher, weil der Guide mir Vertrauen gab“, erzählt er. „Ich dachte: ‚Was für eine einzigartige, spezielle Erfahrung dieser Bergführer den Menschen bieten kann, indem er es ihnen ermöglich, ihre Komfortzone zu verlassen.’“
Es war bereits das zweite Mal, dass der aus Red Deer (Alberta, Kanada) stammende Junge große Karrierepläne schmiedete. Fünf Jahre zuvor wollte er Profi-Snowboarder werden. Das war nicht ungewöhnlich. Das war einfach Ross. „Schon als Kind habe ich jede Tätigkeit, die ich ausübte, mit großer Überzeugung und Ernsthaftigkeit verfolgt“, sagt der heute 37-Jährige.
Während der Snowboardtraum ein Traum blieb, wurde der Weg zum Bergführer Realität mit echten Erfahrungen in den echten Bergen. „Mir war es nicht wichtig, viel Kohle zu verdienen und ich wusste auch nicht, ob das ein guter Beruf sein würde“, erinnert er sich zurück. „Ich wollte mich einfach selbst fordern. Ich dachte, dass es einfach so ein tolles Geschenk ist, diese Kenntnisse zu haben und Erlebnisse für andere Menschen kreieren zu können.“
Mit der Erlaubnis seiner Eltern hat Ross einen Online-Abschluss an der Highschool gemacht – was in den frühen 2000er-Jahren noch ziemlich exotisch war – und lebte in seinem Auto, um im Winter am Rogers Pass Skizufahren und im Sommer in Kalifornien zu klettern. „Die Aussicht darauf, dass ihr Sohn daheimbleiben, in Schlägereien geraten, am Skatepark abhängen und auf Partys gehen würde, war im Gegensatz zum Leben im Auto und das Lernen von anderen Profis gar nicht so abwegig für meine Eltern“, lacht Ross. „Wahrscheinlich war das der sicherere Weg.“
Die Grundlagen lernen
Während er an seinem Abschluss arbeitete, unternahm Ross die ersten Schritte auf seinem Weg zum Bergführer: Er absolvierte die Lawinensicherheitsausbildung (AST) und buchte Führer, um tief in die Berge zu gehen. Mit 19 hatte er bereits genug Erfahrung gesammelt, – und war endlich offiziell alt genug – um sich für die Bergführerausbildung anzumelden.
Es dauerte ein Jahr, um die erste Zertifizierung als Bergführerlehrling in Kanada zu absolvieren, die ihm die Möglichkeit gab, als Bergführer in Europa zu arbeiten (an anderen Orte brauchte er eine längere Ausbildung). Ab ging es nach Chamonix, von dessen legendären Gipfeln er schon lange geträumt hatte. Ross schätzte einige der Dinge, die in der Zeit als Bergführer in Europa erlebte, sehr: Respekt für das Handwerk, interessante Arbeit, gute Bezahlung und direkter Zugang zu Weltklasse-Gelände, von dem aus man am Abend die Annehmlichkeiten des eigenen Zuhauses genießen konnte. Diese Werte bildeten die Grundlage für seine Vision von der Art von Erlebnissen, die er in seinem Heimatland selbst schaffen wollte.
Heute, mit 18 Jahren Guiding-Erfahrung und 13 Jahren als komplett zertifizierter Bergführer, ist Ross der Besitzer und Leiter von Altus Mountain Guides und von Phantom Heli-Skiing. Diese beiden Unternehmen bringen die Menschen in die Berge in British Columbias berühmtem Sea-to-Sky-Korridor. Seit 2012 hat Altus über 10.000 Leute zum Klettern, Skifahren, Wandern und Laufen begleitet und für ihre Sicherheit gesorgt. Das neuere Unternehmen Phantom ging 2020 an den Start und ist auf individuellere Reisen für kleinere Gruppen spezialisiert.
„Ich dachte, dass Whistler der perfekte Ort sein würde, um einen europäischen Bergführerstyle zu schaffen“, sagt Ross über seine Entscheidung, sich in British Columbia niederzulassen. „Du kannst wahnsinnig tolle Tagestouren machen und am Abend in deinem eigenen Bett schlafen, weil die Ortschaften so nah an großen und interessanten Bergen liegen. Genau das wollte ich für mich selbst und für meine Community und gleichzeitig einen reizvollen Arbeitsplatz mit wettbewerbsfähigerer Bezahlung anbieten. Das war der Hauptgrund, die Bergführerbranche weiterzuentwickeln und sie so zu gestalten, dass es viel besser für uns alle ist.“
Ein Leitfaden zum Erwachsenwerden
Natürlich war es kein einfacher Weg, das alles zu realisieren.
Als Ross 2006 seine Ausbildung bei der Association of Canadian Mountain Guides (ACMG) startete, sah alles ganz anders aus als heute. „Es war mehr der Big-Boys-Club“, wie Ross die Situation beschreibt. Obwohl er jahrelang sein eigenes Portfolio in den Bergen aufgebaut hatte, fühlte er sich bei seinen Bergführerkursen in Kanada und seiner ersten Arbeit als Guide in Europa wie ein Kind unter Männern. „Das war nicht das einfachste Umfeld. Ich war ja ziemlich jung und hatte noch gar keine Arbeitserfahrung. Das machte es echt schwer.“
Ross, der nie vor einem Hindernis zurückschreckte, gab sich Mühe und versuchte, so viel wie möglich aus der ganzen Erfahrung rauszuholen. Er lernte alle offensichtlichen Fertigkeiten, die man als guter Bergführer braucht, machte sich aber auch die persönlichen Fähigkeiten bewusst, die ihn auf die nächste Stufe bringen würden.
„Für mich fühlte es sich fast an wie mein ‚Männer-Examen’, weil ich 19 war und noch kein Selbstbewusstsein hatte“, sagt er. „Wie kann ich in dieser Führungsposition bestehen und meine eigenen Entscheidungen treffen?“
Umgeben von Kollegen, die ihm um Jahre voraus waren, beschloss Ross, diese Situation in eine Chance zu verwandeln. „Ich war sehr hartnäckig, wenn es darum ging, Leute um Hilfe zu bitten und daraus eine geschäftliche Angelegenheit zu machen. Zum Beispiel fragte ich: ‚Ich helfe dir bei deinem Kurs, wenn du mich im Gegenzug beurteilst.’ So hatte ich eine Handvoll Guides, die mich auf ihre Trips mitnahmen. Ich konnte sie bei ihrer Arbeit beobachten und sie ließen mich nach vorne und sagten mir, was ich noch verbessern könne. Es war wirklich wertvoll, diese älteren Profis zu kennen, zu denen ich aufschauen konnte.“
Das bedeutete aber oft, ins kalte Wasser zu springen. „Ich denke, so lernt man schneller“, sagt Ross. „Wenn du dich selbst in eine herausfordernde Lage versetzt, kann es hart werden. Aber wenn du durchhältst und eine gewisse Begabung mitbringst, wirst du auch schnell Erfolg sehen.“
Während Ross seine Mentoren dabei beobachtete, wie sie die Feinheiten des Führens immer weiter ausbauten – wie sie ihren Vorbereitungsprozess und die morgendliche Besprechungsroutine durchgingen, Informationen auswerteten und Risiken bewerteten, um sichere Pläne zu machen, und eine ruhige und motivierende Umgebung für die Gruppe schufen – bemühte er sich bewusst, sie nachzuahmen, bis er Selbstsicherheit und seinen eigenen Stil fand. Ein Gefühl, von dem er wusste, dass es irgendwann kommen würde.
„So funktioniert mein Gehirn. Wenn ich mich entschließe, etwas zu tun, gibt es eigentlich nichts, was mich davon abbringen könnte. Ich war fest von diesem Prozess überzeugt.“
Eine Lehre fürs Leben
Auch nachdem er seine Bergführerzertifizierung in der Tasche und mit dem Aufbau seines Unternehmens begonnen hatte, beobachtete Ross weiter – dieses Mal sich selbst.
Er bemerkte, dass er nicht mehr zu 100 % anwesend war, als er sich in seiner Arbeit sicherer und wohler fühlte. Wie bei allen Menschen kamen ihm plötzlich Gedanken aus dem Alltag in den Sinn, wenn er auf Tour war. Das hat nie zu Sicherheitsproblem geführt, aber ihn aus seinem Fokus gerissen – was Ross nicht okay fand. „Es war ein großes Stück Arbeit zu lernen, wie ich mein persönliches Leben daheim lassen konnte. Der Trick ist, die Probleme aufzuschreiben, damit sie einem bewusst werden. Zudem sind sie dann sicher verwahrt, während man selbst da draußen unterwegs ist. Beim Führen und im Leben geht es darum, Räume zu schaffen, in denen man aufmerksam beobachten kann, ganz intuitiv.“
Ross hat im Laufe der Jahre auch seine Kosten-Nutzen-Analyse verfeinert, natürlich und proaktiv. „Das Risikomanagement eines jungen Mannes ist noch nicht voll ausgebildet“, sagt er, wenn er an seine Anfangszeit zurückdenkt. „Ich wollte die ganz großen Dinger klettern und führen und mich dabei selbst fordern. Heute stelle ich gerne infrage, warum jüngere Bergführer:innen bestimmte Risiken eingehen. Ich habe gelernt, dass die Herausforderung darin besteht, diese Risiken nicht in Kauf zu nehmen. Als Bergführer und auch in anderen Bereichen kann man keine Führungspersönlichkeit sein, wenn man die persönlichen Wünsche nicht mit der Realität abgleicht.“
Menschen zu helfen, sich ihrer selbst bewusster zu werden, sich auf ihre Umwelt einzulassen und klügere Entscheidungen zu treffen. Das sind die Fähigkeiten, die Ross seinen Gästen und der nächsten Generation von Bergführer:innen vermitteln will.
„Es ist ein sehr individueller Beruf. Man arbeitet allein, oft mitten im Nirgendwo. Und obwohl alle Guides im selben Team sind, kann das zu Konkurrenzdenken und Isolation führen“, sagt Ross. „Wir machen diesen Beruf, weil er eine Leidenschaft ist, aber er bringt auch viel Ballast mit sich. Deshalb denke ich, dass man einen sichereren und angenehmeren Raum für alle schaffen kann, wenn man seine Erfahrungen miteinander teilt.“
Die nächste Ritt
Ross hat in seiner fast zwei Jahrzehnte währenden Karriere viele Gipfel erreicht. Jetzt ist der Zeitpunkt für neue Herausforderungen gekommen. Zum Glück ist das Leben eines Bergführers saisonabhängig. Zwischen dem Bergsteigen im Sommer und dem Skifahren im Winter gibt es genügend Zeit für andere Dinge. Als Nächstes steht ein Hausbauprojekt in Kauai (Hawai’i) an. Ross findet es cool, weil es „kreativ, aber mit Konsequenzen verbunden ist, genau wie Skifahren“ – und eine ganz neue Sportart mit sich bringt: Das Surfen.
Der neue Outdoorsport, in dem er kein Experte ist, hat Ross zu jenem schicksalhaften Tag an der Wand in Squamish zurückgeführt, der der Ausgangspunkt seiner bisherigen Laufbahn war.
„Ich war so viele Jahre in den Bergen unterwegs, dass ich sie kenne und sie mich kennen. Das fühlt sich gut an“, sagt er. „Das Meer wiederum ist ein Rätsel, ein Mysterium – es zeigt sich mir nie ganz. Hier habe ich nicht das gleiche Maß an Vertrautheit. Das spornt mich an. Das bedeutet, dass es so viel für mich zu lernen gibt.“
Und hier schließt sich der Kreis für Ross: Es geht nicht um den Erfolg, sondern um den Prozess: Jeder einzelne Schritt, jede gelernte Fähigkeit und all die Energie, die du in etwas steckst, weil du es liebst, am Ende mit anderen zu teilen.