The Enduring Mountain

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Autor: Matt Spohn | Fotos: John Price

Yamnuska – ein Kletterfilm von John Price, produziert von Sherpas Cinemas – begleitet Vikki Weldon und Quentin Roberts aus dem Arc’teryx Kletterteam in eine der begehrtesten Linien am Mount Yamnuska (Îyâ Mnathka). In ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte dieses Berges macht sich die Seilschaft auf eine Reise, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet. Zur Feier der Veröffentlichung des Films in diesem Sommer haben wir mit Vikki und Quentin über ihre Erfahrungen am Yam gesprochen. Was bedeutet es, eine historische Route zu wiederholen? Wie können wir uns selbst finden, wenn wir uns ins Unbekannte aufmachen und an unsere Grenzen gehen?

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THE FINE LINE

Die ganze Naturgewalt dieses Berges, sein gold-grauer Kalkstein – bröseliger Fels, der ständig abgeht – zieht die beiden magisch an. Die eine klettert. Der andere sichert. Irgendwie hängen an diesem bröckelnden Steinhaufen.

„Ich weiß nicht, wo es weiter geht“, schreit Vikki Weldon, die gerade klettert. „Ich habe einfach keine guten Sicherungsmöglichkeiten gefunden.“ Chalk ziert ihr Gesicht. Schrammen und Kratzer, die von einem Leben in der Vertikalen zeugen, kennzeichnen ihren Helm. Kein Wind. Kein Vogelgezwitscher. Nur ihre Stimme, ihr Atem, das Klimpern der Keile an ihrem Klettergurt, als ob sie ein Unheil abwehren wollen.

Es gibt aber nicht viele Möglichkeiten, etwas zu legen. Weit über ihrem letzten Sicherungspunkt, einem kleinen Keil, der bei einem Sturz jederzeit kommen könnte, kickt Vikki gegen einen Absatz, um zu testen, ob er ihr Körpergewicht hält. Sie riskiert es und stellt sich drauf. In einer Millisekunde geht der Spülmaschinen große Block ab und fällt an ihrem Sicherungspartner und Piolet D’Or-Gewinner Quentin Roberts vorbei in die Tiefe.

„Dieser besch* Berg“, murmelt sie, ihre Stimme von Ehrfurcht ergriffen. „Alles locker.“

Sie sucht nach einem festen Griff. „Reiß dich zusammen“, sagt sie sich selbst. „Reiß dich zusammen.“ Sie wischt sich die Tränen mit der angechalkten Hand aus dem Gesicht. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Es ist zu kompliziert, zu riskant. Also klettert Vikki weiter, langsam und stetig – 5, 10, 15 Meter über ihrer letzten Zwischensicherung, hinein in eine der Geschichten, die nur in den Bergen geschrieben werden.

 

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LEGENDEN DER VERGANGENHEIT

Yamnuska (Îyâ Mnathka) liegt auf dem traditionellen, aktuellen und nicht anerkannten Territorium der Stoney Nakoda First Nations und ist der Geburtsort des kanadischen Klettersports. Seine hoch aufragende, festungsartige Südostwand erhebt sich direkt aus der östlichen Prärie und bildet eine natürliche Barriere zu den anderen Bergen der kanadischen Rocky Mountains.

Der erste Gipfel, den Autofahrer:innen sehen, wenn sie auf dem Trans-Canada Highway nach Westen fahren. Nur einen Katzensprung von Canmore entfernt, entwickelte sich die ehrfurchtgebietende Wand von Yam in den 1950er und 60er-Jahren zu einem Zentrum für Bergsteiger:innen. Mit Tennisschuhen und einem um die Hüften gebundenen Hanfseil bestiegen der in Deutschland geborene Leo Grillmair, sein Bruder Hans und eine junge Frau namens Isabel Spreat 1952 die Grillmair Chimneys (Grillmair-Kamine) und ebneten damit den Weg für eine ganze Generation von Kletterern.

„Wir wollten über den harten Weg nach oben“, erzählt Grillmair über die Besteigung. Das war eine bedeutende Abweichung von der damaligen Tradition, möglichst viele Gipfel nacheinander abzuhaken. Dieses Team, das die Grenzen des Möglichen sprengte, führte das moderne Klettern in Kanada ein. Es inspirierte die nächsten Generationen dazu, in den Bergen vor allem nach Erfahrungen und Erlebnissen zu suchen.

Andere folgten auf ihren Spuren und Yam wurde zu mehr als einem Klassenzimmer für angehende Kletterer und Kletterinnen. Es entwickelte sich zu einem Ort, an dem sich die Kühnsten der kanadischen Kletterszene auf die Probe stellen. Mit Standplätzen aus Schuhsenkeln, selbst gebauter Ausrüstung und dem Wunsch, den Weg durchs Unbekannte zu finden, haben viele dieser Kletterer und Kletterinnen die Grenzen des Sports immer weiter verschoben und ein Vermächtnis an inspirierenden Routen hinterlassen.

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JENSEITS PHYSISCHER KRÄFTE

„Wir schauen so oft eine Route an und denken gar nicht darüber nach, in welchem Stil sie geklettert wurde oder wer sie mit welchen Mitteln gemacht hat“, sagt Vikki. „Wir denken nicht darüber nach, warum sie diese Route geklettert sind. Halte inne. Denk darüber nach. Das macht einen bescheiden und inspiriert.“

„In einem Sport, bei dem sich alles mehr und mehr um Schwierigkeitsgrade und um die Sicherheit der Menschen dreht und den die meisten in der Halle machen, gehen langsam einige Aspekte verloren“, sagt Quentin. Und so stellt sich die Frage: Wie erhalten wir das Abenteuer? Wie bleiben wir mit der Mythologie und den Überlieferungen der Vergangenheit verbunden, damit die Berge weiterhin ein Ort der Transzendenz sein können.

Sich in die Höhe zu wagen, ohne zu wissen, wo eine Route verläuft, nur wenige Bohrhaken zu haben, sich auf weite Sicherungsabstände einlassen und sich auf die eigenen Fähigkeiten verlassen – diese Ethik widerspricht den heutigen Sicherheitsstandards. Es ist diese Zusammenführung von Ethiken, die ein Gespräch darüber ermöglicht, was Klettern bedeutet. Ja, Sicherheit ist wichtig. Aber was passiert, wenn wir jeden Berg quasi mit einer Leiter ausstatten?

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„Klettern heißt, sich selbst zu fordern und auszutesten, was möglich ist“, sagt Vikki. Wenn wir mit etwas Beängstigendem konfrontiert werden und einen Ort betreten, dessen Ausgang wir nicht kennen, ein Ort, an dem wir uns durchkämpfen müssen, wird etwas Wertvolles frei.

Auf diese Weise Berge zu besteigen – den Weg nicht zu kennen und das Echo der Ungewissheit gegen den Paukenschlag der Möglichkeit prallen zu lassen – lehrt uns etwas Wichtiges. Das Wort vielleicht. „Vielleicht geht es, vielleicht geht es sogar frei“ ist wie Musik in den Ohren vieler Kletternder. Genau diese Überlegung war die treibende Kraft hinter vielen der Linien am Yamnuska.  „Es ist die Inspiration und der Grund dafür, warum viele von uns mit dem Klettern angefangen haben“, sagt Quentin. „Ich liebe das Training, aber das Klettern hat eine Komponente, die wohl viel stärker ist als die Leistung, viel nachhaltiger und in vielerlei Hinsicht viel tiefer.“

„Trotz unserer größten Anstrengung werden die Berge immer das letzte Wort haben“, sagt Vikki. „Sie bringen uns an einen Ort, den wir nicht erwartet haben.“ Vielleicht ist das der Kern. Vielleicht lehrt diese Gratwanderung, auf der die Angst uns beim Klettern langsam überkommt, etwas ganz Besonderes. Vielleicht ist es für das Verständnis der Berge entscheidend, den Punkt zu finden, an dem die geistige Stärke die körperliche übersteigt.

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DIE LEKTIONEN DER BERGE

Für Vikki und Quentin sind die historischen Routen am Yam ein Gradmesser, von dem aus sie ihren Platz in der Kletterwelt besser verstehen können. Sie sind ein Bindeglied zwischen verschiedene Zeiten und Menschen. Möglichkeiten für Vikki und Quentin, um zu entdecken, was Klettern ist und warum sie weiterhin klettern.

„Wenn wir die Berge betrachten, ist es wichtig, die Schönheit der Vergangenheit zu erforschen und unsere Erfahrungen im Hier und Jetzt zu machen“, sagt Quentin. „Es gibt keinen besseren Ort als den Yam, um in eine Ära und einen Stil des Kletterns einzutauchen, die beide langsam aus unserer Community verschwinden.“

Die Wiederholung dieser Routen und ihre Geschichte kennenzulernen, schafft ein Verständnis für die Schätze, die die Berge bergen. Es ist Inspiration. Es ist auch eine Verbindung von Mensch zu Mensch auf einer sehr intuitiven Ebene. „Wie viel schwieriger ist es, wenn man nicht weiß, wohin es geht. Wie viel schwieriger ist es, wenn man kein Topo hat, das einem den Weg weist. Wenn man keine Ahnung hat, welche Ausrüstung man mitnehmen soll“, sagt Vikki. „Wie viel befriedigender?“

„Man lernt dabei auch noch etwas anderes“, sagt Quentin und meint damit die Beschäftigung mit Routen, die einen geistig fordern. „Es ist fast wie ein spirituelles Wachstum, das man durch das Klettern dieser Routen erfährt. Es ist ein Perspektivwechsel“.

Auf ihrem Weg durch eine Yam-Route nach der anderen entdecken Vikki und Quentin eine neue Art, sich nach oben zu bewegen – eine, bei der die Erfahrung den sportlichen Erfolg übertrumpft.

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ZUSAMMEN FÜR DIE BERGE

„Ich bin eine sehr sicherheitsbewusste Kletterin. Ich hatte nicht das Gefühl, mich in Gefahr zu begeben, aber“ Vikki hält inne, “Klettern am Yamnuska ist immer ein bisschen gefährlicher. Am Yam zahlt jeder seinen Tribut.“

„Routen, die auf eine interessante Art und Weise gemacht wurden. Routen, die eine Geschichte haben, verlangen oft mehr als nur die physische Anstrengung“, sagt Quentin. „Wenn man mit einem großen Sturzpotenzial konfrontiert ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Das entführt dich in eine andere Sphäre“.

Wenn man sich auf den Yam eingelassen hat, muss man dranbleiben. Du musst dich zusammenreißen. Und das ist etwas Besonderes. „Das heißt nicht, dass es keine sicheren Routen geben sollte“, sagt Quentin. „Es gibt viele sichere Routen und die klettere ich gerne. Aber Klettern in diesem Stil lädt dazu ein, sich voll und ganz auf die Berge einzulassen.“

„Ein Move hat meine Denkweise völlig verändert“, sagt Vikki. Zurück zum Felsausbruch. Dort draußen, auf der Suche nach einem Halt weit über ihrer letzten Zwischensicherung, entdeckte sie einen Weg nach oben. Diese Tatsache gilt auch für Leo, Hans und Isabelle. Während sie sich langsam nach oben bewegten und die Felsen unter ihren Händen und Füßen zerbröckelten, entdeckten sie eine neue Art, die Welt zu sehen – eine, die daraus resultierte, sich der Ungewissheit auszusetzen.

„Wenn du verstehst, woher du kommst, wenn du die Überlieferungen der Berge verstehst, verstehst du besser, wer du bist und wohin du als Kletterer gehen willst“, sagt Quentin. Dann musst du nur noch loslegen.

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