Stepping Out
STEPPING OUT
Text von Ben Osborne | Fotos von Ange Percival
Das Führen von Splitboardingtouren erfordert Geduld, Genauigkeit und – vielleicht mehr als alles andere – Neugier. Für die ACMG-Guides Christine Feleki und Joey Vosburgh ist dieser Job eine allumfassende Aufgabe. Im Rückblick auf das, was sie in den Bergen und über sich selbst gelernt haben, steht fest: Es hat sich gelohnt.
„Am Anfang knirschte es ein wenig, als …
„Soll ich die Geschichte wirklich erzählen?“
Joey Vosburgh hat von Natur aus gute Laune – meist sogar überschäumende. Sie strahlt aus seinen Augen und seinem breiten Grinsen mit einer kleine Zahnlücke. Ein leises Lachen begleitet seine Erinnerung an das erste Treffen mit Christine Feleki.
Dieses Treffen liegt etwa ein Jahrzehnt zurück, in einer abgelegenen Lodge bei Revelstoke in Kanada – damals befanden sich Joey und Christine an unterschiedlichen Stationen ihrer Karriere. Joey nahm an einem Skikurs für unterstützes Tourengehen teil. Er war auf dem Weg zum Apprentice Ski Guide. Christine wiederum war als Praktikantin dort und kurz davor, die gleiche Ausbildung zu machen. Am Anfang des Kurses waren sie beide im Speiseraum der von Holz geprägten Lodge.
„Der Hüttenbesitzer hielt eine kurze Einführungsrede, in der er dem Team und den ACMG-Kandidat:innen eine Einführung in den Ablauf der Woche gab“, so Joey. „Und am Ende seiner Rede sagt er ganz trocken: ‚Wenn ihr Snowboarder sein wollt, könnt ihr auch gleich eure Sachen packen und nach Hause gehen.‘“
Der Kommentar war überraschend, aber nicht ohne Vorgeschichte. Zu diesem Zeitpunkt war Splitboarding von der ACMG noch nicht als Methode zur Erlangung einer Bergführerzertifizierung zugelassen. Snowboardfahren wurde weltweit in vielen Skigebieten noch kritisch gesehen.
Joey und Christine mussten doppelt so hart arbeiten, um zu beweisen, dass sie sich effizient und sicher mit dem Splitboard in den Berge bewegen konnten – und sie hatten einen Joker im Ärmel: Joey und Christine wuchsen in den 90er Jahren mit dem Snowboard auf. Dazu gehörte auch eine rebellische „Do-it-yourself“-Haltung. Das war die Überlebenstaktik aller, die damals in diesem Sport aktiv waren. Joey und Christine mussten sich gegen den Widerstand der führenden Organisation ACMG durchsetzen. Ihre Beharrlichkeit ermöglichte es ihnen, ihren Weg fortzusetzen und dabei ihrer bevorzugten Fortbewegungsart treu zu bleiben.“
Im Winter mit einem Splitboard als Guide zu arbeiten war damals neu. Das Führen auf Ski war in Kanada bereits etabliert – die Association of Canadian Mountain Guides (ACMG) wurde 1963 gegründet und trat 1972 der International Federation of Mountain Guides Associations (IFMGA) bei.
Heute floriert das Führen von Ski- und Snowboardtouren in kleinen, spezialisierten Regionen weltweit. Zwischen diesen Gebieten gibt es jedoch Unterschiede. Die Wetter- und Lawinenprognosen sowie die Philosophien zur Erarbeitung von Heuristiken variieren und entwickeln sich ständig weiter.
Abgesehen von diesen Unterschieden, können all die Faktoren, die in die Risikobewertung einfließen, selbst erfahrene Tourengeher:innen und Freerider:innen verwirren. Guides wie Christine und Joey, die jetzt vollständig zertifizierte ACMG Skiführer:innen sind, schlagen einen neuen Weg ein. Sie entwickeln sich in ihrer Karriere weiter, indem sie auf Neugier setzen, anstatt sich ausschließlich auf ihre ihre Zertifikate oder gar Egos zu verlassen.
An einem durchschnittlichen Tag als Guide ist Joey bereits seit mindestens drei Stunden wach, wenn er seine Gäste trifft. Als erstes geht es für ihn auf die Matte, wo er stretcht, Mobilitätsübungen macht und mit der Faszienrolle arbeitet. Das braucht sein Körper, der mehr als 150 Tage im Jahr im Schnee unterwegs ist. An manchen Tagen radelt er von seinem Zuhause in Revelstoke zur Heli-Base – eine Fahrt, die er zum Runterkommen nutzt. Er sagt: „Nicht alle sind darauf vorbereitet, dass Joey völlig ausflippt ankommt und ihnen direkt auf den Bauch bindet, was er denkt.“
Dann tauschen sich die Guides in einem Morgenmeeting aus. Sie teilen die Beobachtungen von der Nacht zuvor, besprechen eingehende Wetterinformationen sowie die Logistik bezüglich der Tourenauswahl, Gruppengrößen und andere Details.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand geht es in den nächsten Vorbereitungsteil über, der das Ganze noch etwas komplexer macht: Welche Ziele hat die Gruppe? Wie gut sind sie auf Ski und Snowboard unterwegs? Wie gut werden sie harmonieren? Auch an den sogenannten „1-1-1“-Tagen, wie Joey sie nennt (ein „niedriges“ Gefahrenniveau unterhalb der Baumgrenze, an der Baumgrenze und im alpinen Bereich laut der Lawinenvorhersage von Avalanche Canada), sind die Gefahren stets präsent. Selbst die fundiertesten Entscheidungen können Lücken haben.
Während Joey schon lange für Selkirk Tangiers arbeitet ist Christine Feleki irgendwo auf der anderen Seite der Provinz gelandet. Sie leitet dasselbe Programm bei einer der Guiding-Organisationen und wechselt zwischen verschiedenen Einsätzen hin und her – mit frühen Starts, tiefen Atemzügen und einer großen Portion Daten.
Im Kern stehen sie beide vor demselben Dilemma: Wie werden sie den ganzen Tag über mit Entscheidungen unter hohem Druck umgehen und wie reagieren sie, wenn etwas schiefgeht?
Trotz den Bergen an Daten, die ihnen zur Verfügung stehen, gibt es bei jedem Schritt, nach jeder Abfahrt und nach jedem Aufstieg immer noch Fragen zu beantworten. Wie wird sich die Sonneneinstrahlung bei teilweise bewölktem Himmel auswirken? Ist die schwache Schicht tief in der Schneedecke bereits so stark komprimiert, dass sie ihnen erlaubt, die Aufmerksamkeit zu verringern? Wie werden Erlebnisse und Daten von mehr als 60 Tagen zuvor in den Bergen ihre Entscheidungen beeinflussen?
Diese Fragen lassen sich nicht so einfach beanworten. Der Erfolg von Christine beruht auf ihrer Fähigkeit, diese Vorraussetzung zu akzeptieren und gleichzeitig neue Umgebungen, Schneezusammensetzungen und Menschen kennenzulernen.
« Intégrer des équipes aussi expérimentées a été à la fois un défi et une chance ; j’ai pu apprendre auprès de personnes qui avaient une connaissance approfondie de ce milieu, de cet environnement », confie Christine, à propos de son travail au sein de différentes compagnies de guides à travers la Colombie-Britannique.
Pour Christine, le meilleur moyen d’évoluer est de rester humble et de savoir reconnaître ce qu’elle ne sait pas.
« L’incertitude fait partie intégrante du métier de guide et de la montagne en général, dit-elle. Je me rappelle mes premières formations ; il y avait une part énorme d’incertitude dans tout ce qu’on faisait. Je me demandais : comment peut-on prendre la moindre décision quand on s’aventure là-haut ? Tout semblait tellement effrayant. Je me disais : et s’il arrive ceci ? Et s’il arrive cela ? »
Joey se souvient d’avoir appris, au début de sa formation, que la réponse à ces questions en « Et si… » se trouve en soi-même.
« Le premier module portait sur les facteurs humains. C’étaient des cours qui touchaient à l’intime, où l’on faisait beaucoup d’introspection pour découvrir qu’il l’on était, avec des questions comme : quelle est votre attitude face au danger ? Quel est votre type de personnalité ? Comment votre personnalité s’accorde-t-elle avec les autres, et en quoi influence-t-elle votre prise de décision en montagne ? »
Christine et Joey estiment que ces conversations les ont aidés à développer leur humilité et à comprendre qu’ils fonctionnent mieux en équipe.
„Niemand von uns beiden hat die Einstellung ‚Halt die Klappe und folge mir’“, sagt Christine. „Wir wollen das Fällen von Entscheidungen mit den Leuten teilen. Beispielsweise was uns bezüglich des Schnees, des Wetters und der Bedinungen Sorgen bereitet. Das ist uns wichtiger, als unseren Gästen einfach zu sagen, dass sie uns blind folgen sollen. Wir beide sehen einen großen Vorteil in diesem Stil des Führens.“
Diese Weisheit und Offenheit ensteht durch Erfahrung und ist repräsentativ für die Entwicklung der Guiding-Industrie in Kanada.
„Wenn du von den Fehlern anderer lernen kannst, anstatt sie selbst zu machen, lebst du ein bisschen länger – hoffentlich“, sagt Christine. „Ich denke, hier hat sich die Mentalität bereits verändert. Wir versuchen, die besten Entscheidungen zu treffen und so viel Informationen wie möglich zu sammeln. So eine Information kann auch von einem Gast ganz am Ende der Gruppe kommen.“
„Wir versuchen, die besten Entscheidungen zu treffen und so viel Informationen wie möglich zu sammeln. So eine Information kann auch von einem Gast ganz am Ende der Gruppe kommen.“
Das Interesse von Joey auch andere einzubeziehen kommt davon, dass er in der Lage ist, über vergangene Situationen zu reflektieren und zu erkennen, wann er sich selbst hinterfragen hätte müssen. „Wenn ich auf einige dieser riskanten Situationen zurückschaue, will ich zeigen: ‚So verhält man sich richtig’“, sagt er.
Die langjährige Erfahrung in den Bergen, die erzwungene Selbstreflexion und die Auseinandersetzung mit Traumata haben Joey und Christine gelehrt, dass es unmöglich ist, – ganz gleich, wie viel man weiß – jedes einzelne Detail zu erfassen und dass das Erkennen der eigenen blinden Flecken eine ständige Aufgabe bleibt.
„Da spielen alle möglichen Heuristiken eine Rolle, vor allem wenn es um Verzerrungen der Wahrnehmung von Vertrautem geht. Ich bin ständig dabei, das auszugleichen“, sagt Joey. „Ich frage mich ständig, ob mir die ganze Sache nicht schon zu vertraut ist. Werde ich einen Fehler machen, weil ich mich zu sicher fühle und ein Problem gar nicht mehr wahrnehme?“
Joey und Christine haben schon einige brenzlige Situationen erlebt. Es ist ihre Neugier, die Berge, sich selbst und die Leute um sie herum zu verstehen, die sie weiter antreibt. Sie glauben, dass dieses beharrliche Streben nach Offenheit und Neugierde die Menschen in den Bergen am Leben hält und die Guiding-Industrie in eine neue Ära führt.
„Ich denke, was alle Führer:innen, die ich bisher kennengelernt habe, gemeinsam haben, ist ihre Neugierde, zu verstehen, warum Dinge geschehen. Deshalb entwickelt sich die Schneeforschung ständig weiter. Denn niemand sitzt rum und so tut, als wüsste er oder sie alles“, sagt Christine.
Der Job ist gefährlich, anstrengend und dient letztendlich anderen Menschen. Für Christine jedoch ist es die Zusammenarbeit zwischen den Guides – dieses Gefühl gemeinsamer Neugier –die ihr Interesse wach hält, ihr Verständnis für die Berge vertieft und ihr verdeutlicht, warum sie sich überhaupt dafür entschieden hat, Bergführerin zu werden.
„Indem man Menschen in die Berge bringt, schafft man eine Verbindung zur Umgebung“, reflektiert Christine.
„Und dann interessieren sie sich für diese Umwelt und sind vielleicht eher bereit, sie zu schützen. Es ist ein zusätzlicher Bonus, anderen zu helfen, etwas ganz Besonderes zu erleben. Wenn man sieht, dass diese Person es sonst niemals geschafft hätte und jetzt glücklich ist, das sehr wertvoll.“
„Ich bin eigentlich eher eine Stubenhockerin, aber sobald ich in den Bergen bin, gibt es keinen Ort, an dem ich lieber wäre.“