ANCHOR POINTS
Vor fast zehn Jahren wurde die Exum Bergführerin Morgan McGlashon eingeladen, den Grand Teton zu besteigen und per Ski abzufahren. Das war eine einschneidende Erfahrung. Heute gibt sie ihr Bestes, indem sie Neulinge in die Berge führt, ihr Wissen weitergibt und eine Gemeinschaft aufbaut.
DIE TETONS
„Ich habe eine lebenslange Beziehung zu den Tetons und der Gemeinschaft, die sie umgibt, aufgebaut“, sagt Morgan McGlashon, die mit 26 Jahren die jüngste Bergführerin von Exum wurde – dem ältesten und renommiertesten Bergführerdienst der USA.
Sie sitzt auf ihrer Couch und macht Notizen über dieSchneebeschaffenheit und Windrichtung. Man hört die Schritte eines Kindes, das im oberen Stockwerk hin- und herläuft. Wir sind in einer Art Kommune, in der Menschen aller Altersgruppen leben, die durch ihre Liebe zur Natur verbunden sind – Menschen, die Skifahren, klettern, wandern und vieles mehr machen. Eisgeräte, Seile und Kletterschuhe dekorieren das Haus und den Außenbereich.
Alle, die in den Bergen aufgewachsen sind, haben eine starke, identitätsstiftende Verbindung. Aber die Tetons, erklärt Morgan, haben eine besondere Strahlkraft.
Die meisten Gebirgsketten sind über hunderte, wenn nicht tausende Kilometer lang. Sie erstrecken sich über Staaten, Provinzen und Länder. Ihre massive Größe ist der Katalysator für Geschichten über verlorene Städte und geheimnisvolle Kreaturen. Ihre riesigen Ausmaße bedeuten aber auch, dass man sie nie wirklich kennen kann.
Die Tetons sind anders. Innerhalb einiger Tage kann man jeden größeren Gipfel besteigen, ein Couloir ausmachen und es befahren und ihre 70 Kilometer einmal abfahren. Man wird sehr schnell mit den Schatten und Silhouetten der Berge vertraut – mit der Art und Weise, wie sich der Snake River im Tal durch Espen- und Pappelbestände schlängelt, mit den weiten, salbeibedeckten Ebenen und Felsblöcken, die so groß sind, dass sie nur von Gletschern getragen werden können. Man erkennt, dass die Bergspitzen der Hauptkathedrale wie eine grüßende Hand geformt sind.
Im Süden der Bergkette steht das scheunenrote Gemeinschaftshaus. Morgan öffnet die Tür, als sie den heranfahrenden Truck hört. Mit einem Lächeln und Winken begrüßt sie die Skifahrerin Lily Ritter, ihre Schülerin für diesen Tag.
MIT DEN SEILEN UMGEHEN LERNEN
Eine Bergführerin zu werden, war keine kurze Angelegenheit. Manche Schritte gingen allerdings wirklich schnell. Als Morgan McGlashon das erste Mal mit Steigeisen und Eisgeräten den Grand Teton bestieg, ist sie anschließend mit ihren Skiern vom Gipfel abgefahren. Sie war 18 und damit die jüngste Frau, der das bis dahin gelang.
Charlie Thomas, der Vater einer von Morgans Freundinnen aus der Highschool hat sie an diesem Tag mit auf den Berg genommen. Er ist einer der liebsten Kletterpartner von Morgan und immer offen dafür, sein Wissen zu teilen. Das könnte davon kommen, dass er aus eigener Erfahrung weiß, wie gefährlich es ist, mittels Trial-and-Error zu lernen.
„Es gibt eine natürliche Neugier“, sagt Charlie und schaut aus dem Fenster, während sein Truck den Weg Richtung Tetons einschneidet. „Aber ohne richtige Anleitung kann es“, er pausiert „ein bisschen furchteinflößend sein.“
Auf dem Weg zum Jackson Lake erzählt Charlie ein paar Geschichten, von der jede einzelne verfilmt werden könnte. Genauso wie Musik Generationen definiert hat, sind diese Geschichten ein Teil der Tetons geworden.
Vom Überleben einer Tour bei tiefsten Minusgraden auf den Grand Teton, in einer Lawine über eine Klippe geschleudert werden, bis hin zum Umkippen seines Kajaks in den extremen Walzen der Klasse V auf der Clarks Fork des Yellowstone River – Charlie hat seine neun Leben aufgebraucht und noch einige mehr.
Er ist 1982 in die Tetons gezogen. „Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, aber mein größter Wunsch war es, in den Bergen zu leben.“ Damals gab es nicht so viele Möglichkeiten, von anderen zu lernen. „Wir waren einfach neugierige Kids“, erzählt er. „Wir wollten oben auf den Gipfeln stehen.“
Als Charlie Morgan traf, erkannte er die gleiche Neugier und Leidenschaft, die ihn vor 30 Jahren gepackt hatte, als er hier angekommen war. Von Kopf bis Fuß voller „Let´s-go-for-it“-Mentalität endete Morgans Weg zur Elite-Bergsportlerin nicht mit der Besteigung des Grand Teton.
Sie ist nicht nur Exum Bergführerin, siehat auch bei der Freeskiing World Tour teilgenommen und einige steile Linien in Grönland, den North Cascades und Alaska befahren.
„Ich hatte Glück, einen Mentor zu finden, der an mich geglaubt und meine Fähigkeiten gesehen hat, als ich so jung war. Es gibt so viele Menschen, die so viel für mich getan haben, damit ich mir meinen Traum erfüllen könnte“, sagt Morgan. „Genau das möchte ich auch für andere tun.“
BERGFÜHRERIN WERDEN
Morgan hatte Glück, Charlie zu haben. Die Feinheiten des Fahrens, Kletterns und Gehens über Eis, Schnee und Felsen sollten aus Sicherheitsgründen in einer fundierten eine Ausbildung erlernt werden. Bergführer:in ist ein komplexer Beruf – dazu gehören anspruchsvolle Seilarbeit, ein tiefes Wissen über die Ausrüstung und das Wetter sowie die Fähigkeit, blitzschnelle Entscheidungen zu treffen. Sollen wir weitergehen? Oder lieber umkehren? Aber jemanden zu finden, der einem die Berge erklärt, ist nicht immer einfach. „Ein wichtiger Teil meines Weges war es, die richtigen Leute zur richtigen Zeit zu treffen“, erzählt sie.
Morgen ändert das. Sie setzt sich als Mentorin ein, teilt ihre Fertigkeiten und hilft anderen Frauen auf ihren Weg. Ein Weg, den es vielleicht neu zu beschreiteng gilt.
Oben auf dem Grand führt Morgan Lily und zeigt ihr, wie man einen Gast mit einer Technik, die am kurzen Seil führen genannt wird, sicher durch steiles Gelände bringt. Morgan und Lily steigen mit dem Seil verbunden einen steilen, felsigen und mit Schnee bedeckten Hang ab. Sie bewegen sich effizient vorwärts, während Morgan nicht nur erklärt, was sie macht, sondern auch, warum sie es so macht. An einem Absatz halten sie an und lassen die Aussicht auf sich wirken. Es herrscht Schweigen und ein unausgesprochenes Bewusstsein darüber, wo sie sind und was sie an einem Tag geleistet haben. Auf dem Berg sind sie gleichberechtigt, ein Team und ihre Verbundenheit, die Heiligkeit dieses Ortes eint sie und wird zu einem feierlichen Pakt.
„Wenn man sieht, wie einer Frau etwas gelingt, fällt es einem leichter zu glauben, dass man es auch schaffen kann“, sagt Lily. Diese Erfahrung hat sie dazu inspiriert, Bergführerin zu werden. „Ich hab mich selbst nie als Bergführerin gesehen. Bis ich Morgan getroffen habe. Jetzt bin ich auf meinem eigenen Weg dahin.“
Der Tag verblasst. Im Osten legt sich der Schatten des Grand Teton über das Land und den Horizont. Die Wolken leuchten wie im Kerzenlicht und die Gespräche von Morgan und Lily sind so frei wie der Snake River. Sie sprechen über ihre Lieblingssnacks auf dem Gipfel (Truthahn-Ziegenkäse-Sandwiches und Dattelkugeln) und darüber, dass sie sich vor einer schwierigen Seillänge Glitzer ins Gesicht schmieren. Morgan nennt das „kosmetisch positive Einstellung.“
IHR LICHT ZUM LEUCHTEN BRINGEN
Das Streben danach, die Outdoorwelt inklusiver zu gestalten, kam nicht über Nacht. „Als ich angefangen habe, wurde jeder Kurs von weißen Männern geleitet“, sagt Morgan. Tatsächlich sind rund 10 % der Rock-Guides und 9 % der Ski-Guides der American Mountain Guide Association (AMGA) Frauen. „Es könnte eine unbewusste Voreingenommenheit sein. Es könnte sein, dass Frauen eingeschüchtert sind, Kurse von Männern zu besuchen. Es gibt wahrscheinlich viele Gründe“, sagt Morgan. Am Ende des Tages sprechen diese Zahlen für sich selbst.
Indem sie anderen beibringt, wie sie sich sicher in den Bergen bewegen, vermittelt Morgan Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein Leben lang genutzt werden können – Schritte, die das scheinbar Unmögliche möglich machen. „Ich begleite Menschen während ihrer besten Tage, wenn sie Hindernisse überwinden und mit einem Gefühl für den Ort und seine Größe heimgehen. Das motiviert mich“, sagt sie.
Jeden Mittwoch leitet sie das Skicamp von Coombs Outdoors, die vor allem mit Latinokindern arbeiten. Einmal in der Woche trifft sie sich mit Frauen im Alter ihrer Mutter, um Backcountry-Ski-Kurse zu geben. Und sie arbeitet als Bergführerin. Ihr Ziel? Mehr Leute in die Berge einladen, einen Kreislauf von sich öffnenden Türen schaffen und so viele angehende Bergsportler:innen wie möglich ausbilden. „Ich möchte, dass sich Frauen und benachteiligte Menschen sicher und kompetent fühlen, wenn sie in den Bergen unterwegs sind.“
Beim Führen auf den Grand Teton – einen mit 4.199-Meter-hohen passenden benannten Gipfel, der von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang lockt – beweist Morgan den Menschen, dass sie zu ihren kühnsten Träumen fähig sind. „Zufälligerweise ist dieser unvorstellbare Gipfel tatsächlich gut machbar“, sagt Morgan. „Es sind einfach kleine Schritte. Den ganzen Weg lang.“
EINE OFFENE EINLADUNG
Als wir am Jackson Lake ankommen, um die Bedingungen einer Linie zu erkunden, die Morgan und Charlie befahren wollen, ist der Himmel bewölkt. Am felsigen Ufer stehend, machen sie sich bereit, über den See zu paddeln. Sie laden Kletterausrüstung und Ski in ihre Boote. Das Wasser ist ruhig und kalt, und ich frage mich, was sie sehen – welche Möglichkeiten es dort draußen gibt.
Doch schon bald reißen die Wolken auf und die Berge erscheinen. Auf der Nordseite des Sees erhebt sich eine massive Felswand, mit von Wasser gezeichneten Linien und schwarzen Dykes durchzogen. Die Farbe antiker Monumente.
„Was ist das für eine Wand?“, frage ich.
Wie durch einen magischen Effekt füllt sich Morgans Stimme mit Einladung, Positivität und Ermutigung. „Keine Ahnung“, sagt sie. „Wir sollten hinfahren und schauen, ob sie besteigen können.“