CRAIG DEMARTINO AND ADAPTIVE ADVENTURES

WIE EIN KLETTERUNFALL EINE KARRIERE BEENDETE UND ZUM ULTIMATIVEN NEUANFANG FÜHRTE.
https://blog.arcteryx.com/wp-content/uploads/2023/10/Craig-Big-T-6387-scaled.jpg
Words: Brigid Mander | Photos: Cameron Maier

Die ersten Berichte vom Wandfuß deuteten auf einen tödlichen Kletterunfall hin. Im Krankenhaus gingen die Notärzte davon aus, dass er die nächsten Stunden nicht überleben wird. Seine Frau unterschrieb in Erwartung des schlimmsten Ausgangs Stapel furchtbarer Formulare.

Nach fünf Tagen, vier davon wurde er beamtet, hatte Craig deMartino nicht nur überlebt, sein Zustand hatte sich so gut verbessert, dass er die Intensivstation verlassen durften. Er hatte nicht aufgegeben und die Prognosen der Ärzte auf den Kopf gestellt. Neurochirurgen und Orthopäden hatten alle Hände zu tun, Schadensbegrenzung zu betreiben und ihn wieder zusammenzuflicken.

Eine Fehlkommunikation mit seinem Kletterpartner führte dazu, dass Craig ungesichert vom Umlenker stürzte. Der Kletterer aus Loveland, Colorado fiel rund 30 Meter, stieß gegen einen Baum und landete aufrecht auf dem Boden. Diese Landeposition rettete ihm wohl das Leben. Seine Fersen, Fußgelenke, Schienbeine und Wadenbeine wurden zertrümmert und eine Unterschenkelarterie durchtrennt. Er pulverisierte den zweiten Lendenwirbel, brach sich den 5. und 6. Halswirbel und die rechten Rippen, punktierte den rechten Lungenflügel, riss sich das Labrum der rechten Schulter und den Schleimbeutel des rechten Ellenbogens. 18 Monate nach dem Unfall wurde sein rechtes Bein 20 cm unter seinem Knie amputiert.

 

Diese Entscheidung fiel zum Teil, weil Craig, obwohl er dachte, er würde weder mental noch physisch jemals wieder in der Lage sein zu klettern, mit seiner Familie an den Fels fuhr. Er begleitete seine Frau, die eine leidenschaftliche Kletterin ist und seine beiden Kinder. Als seine sechsjährige Tochter Mayah ihren Papa anschaute und ihn fragte, ob er nicht auch die 5a machen wolle, die sie gerade geklettert war, musste er es einfach versuchen. „Es war eine furchtbare Erfahrung“, erinnert sich Craig.

quote-leftIch habe 45 Minuten für eine 10 Meter lange Route gebraucht. Als ich am Umlenker war, hatte ich schreckliche Angst.quote-right

Cindy begleitete ihn durch die Angst und ließ ihn sicher ab. Craig realisierte, dass er Klettern immer noch liebte: Er vermisste den Wind, den Fels, die Gerüche und sogar das Gefühl von Chalk und die unbequemen Kletterschuhe. Er kletterte hier und da und überwand langsam seine Angst. Sein empfindlicher und schmerzhafter rechter Unterschenkel heilte nie so richtig. So entschied er sich dafür, das Bein unterhalb des Knies abnehmen zu lassen, sodass die optimale Knochenlänge für eine Kletterprothese übrig blieb.

Er fing wieder voll mit seinem Sport an. 2006, vier Jahre nach seinem Kletterunfall fuhr er ins Yosemite und kletterte zusammen mit Hans Flording, der ihn unterstützte und ermutigte, den El Capitan (Lurking Fear, 5.7 – 5.13c, 13 Stunden). Danach kehrte er noch mehrmals an den El Capitan zurück und machte 2012 unter anderem die erste Parabesteigung von Zodiac mit seinen ebenfalls amputierten Kletterpartnern Jarem Frye und Pete Davis.

https://blog.arcteryx.com/wp-content/uploads/2023/10/Craig-Tensleep-ARC-7131-scaled.jpg

Der Einfluss von Craigs Unfall auf die Kletterszene ging über seine persönlichen sportlichen Erfolge hinaus. 2007 lud ihn ein Freund ein, um sechs Veteranen mit Amputationen das Klettern beizubringen. „Ich wollte erst nicht hingehen, aber mein Freund meinte einfach: ‚Wir sehen uns Samstag!‘,“ erinnert sich Craig.

quote-leftDas hat meine Perspektive total verändert. Wir haben diesen Jungs geholfen, ihr Leben zurückzubekommen. Sie waren so begeistert. Das war einfach großartig. So bin ich dazu gekommen, anderen zu helfen.quote-right

Dieses schicksalhafte Ereignis eröffnete eine ganz neue Welt und einen neuen Beruf. Dazu kommt Craigs angeborene, positive Einstellung, die ihn perfekt für diese Aufgabe macht: Er ist ein unglaublich optimistischer Mensch, der genau versteht, was andere Sportler mit Behinderung durchmachen. „Ich sage allen, dass ich sie zum Klettern mitnehmen werde. Wenn sie das schaffen, dann können sie wahrscheinlich viele Dinge tun, von denen ihnen die Leute gesagt haben, dass sie es nicht können“, sagt er mit spürbarer Freude in seiner Stimme.

Craig ist seit 2010 Athlet im Arc’teryx Team. Im Jahr 2016 schloss er sich Adaptive Adventures an. Das ist eine in Colorado ansässige gemeinnützige Organisation, die Athleten mit Behinderung landesweit hilft, mit verschiedenen Outdoor-Sportarten anzufangen. Craig ist das Herz und die Seele des Kletterprogramms. „Klettern ist jetzt meine Vollzeitbeschäftigung, ich arbeite etwa 50 % meiner Zeit als Sportler und 50 % als Trainer“, sagt Craig, bevor er mit einem Lächeln hinzufügt: „Ich wollte schon immer Profi-Kletterer werden – nun ist es auf eine ganz andere Art und Weise zustande gekommen.“

Adaptive Adventures (AA) arbeitet sehr viel mit Veteranen. Als Non-Profit-Organisation kommt so ein Großteil ihrer Finanzierung vom U.S. Veteran’s Affairs Department (VA), da die Forschung den positiven Nutzen von Sport und Outdoor-Abenteuern für Veteranen unterstützt. Rund 45 % der Personen, die von der Organisation betreut werden, sind Zivilisten. So muss sich die AA auch aus anderen Quellen finanzieren. Deshalb hat Arc’teryx im Rahmen des Do Right Programms 25.000 $ an die Organisation gespendet.

„Adaptive Adventures ist entstanden, um Menschen die Möglichkeit zu bieten, Abenteuersportarten auszuprobieren und zu betreiben“, sagt Chelsea Elder, Geschäftsführerin der Organisation. „Wir möchten, dass sie und ihre Familien an Abenteuer herangeführt werden, sie ihre Unabhängigkeit wiedererlangen und mit anderen Menschen mit ähnlichen Lebenserfahrungen Kontakte knüpfen. Wir sind ein großer Anbieter von Behindertensport für medizinische Zentren der Veteran Affairs. Craig arbeitet viel mit Menschen, die an posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) leiden; Klettern ist ein sehr schönes Instrument, um dieses Leiden zu mildern“.

„Ich habe beobachtet, dass Menschen die ein großes Trauma durchleben, egal ob Veteran oder nicht, irgendwie ihre Identität verlieren“, sagt Craig. „Wenn die Leute mit mir rausgehen, merken sie, dass sie immer noch ein Mensch sind und sagen sich: ‚Ich bin nicht zwar mehr derselbe Mensch, aber ich kann das Leben immer noch genießen‘. Manche Veteranen haben mir gesagt: ‚Seit ich aus dem Militärdienst ausgeschieden bin, habe ich nichts mehr wirklich gemacht‘. Ein Typ sagte mir, er habe das Haus seit zwei Jahren wegen einer PTBS nicht mehr verlassen. Und dann siehst du, wie sie die Liebe zum Sport und die Liebe zur Natur entwickeln.“

https://blog.arcteryx.com/wp-content/uploads/2023/10/IMG_0491-scaled.jpg

Die Organisation konzentriert sich auf eher unterversorgte Gebiete der USA, wie zum Beispiel innerstädtische und sehr ländliche Gebiete. Craig bekommt sein Jahresbudget, findet heraus, wo es am besten eingesetzt werden sollte und schmiedet darauf hin seine Pläne. „Ich vertrete zuerst einmal unser Programm – aber ich helfe auch dabei, Veteranen zu Mentoren oder Kletterhallenpersonal auszubilden, damit es in diesen Gegenden weiterlaufen kann. Wir zeigen ihnen die ersten Schritte, erwecken ihre Freude und kaufen die behindertengerechte Ausrüstung für die Kletterhalle. Zudem nutzen wir einen Teil unserer Gelder, um den Menschen, die es sich selbst nicht leisten können, eine Mitgliedschaft in der Halle zu ermöglichen. Denn Geld soll auf keinen Fall eine Hürde sein. Wir wollen Hindernisse aus dem Weg räumen, nicht neue schaffen.“

In vielen der unterversorgten Gemeinden versucht Craig, jegliche interessierte Person zu erreichen. Adaptive Adventures öffnet vor allem Athleten mit Behinderung Tür und Tor, aber Craig lässt keine Gelegenheit aus, das Leben eines potenziellen Kletterers durch eine Einführung in den Sport zu bereichern.

Einmal war er in einer Kletterhalle in einem heruntergekommenen Viertel in Cleveland. Dort lud der Hallenbesitzer neben den Veteranen auch die Nachbarn zu einem Grillfest ein.

quote-leftDie Leute sagten: ‚Okay, ich komme und esse einen Hotdog und höre mir diesen Idioten mit einem Bein an‘ – und plötzlich interessieren sie sich für das Klettern!quote-right

Das ist ein Erfolg für Craig. Er möchte allen zeigen, dass es die Möglichkeit gibt, zu klettern, dass Klettern zugänglich ist und dass jeder es ausprobieren kann.