BETWEEN DAYS

BEGLEITE DAS ARC’TERYX SNOWBOARD TEAM MIT NACH JAPAN UND LERNE DIE SNOWBOARDLEGENDE TADASHI FUSE KENNEN.

Text: Ben Osborne | Fotos: Mason Mashon & Perly

 

Japan. Mitte Januar. Hier, wo es durchschnittlich über zehn Meter schneit, kann man nur erahnen, was sich unter dem Weiß verbirgt. Die Welt darüber – das, was wir sehen, ist nur ein Bruchstück der Wahrheit. Der andere Teil schlummert unter der Oberfläche. Kräftige Ahornbäume, die im Sommer voller Energie in den Himmel ragen, spitzen im Winter gerade so heraus. Die unter der Schneelast nach unten gebogenen Äste werden sich erst mithilfe der Frühlingssonne langsam wieder aufrichten.

Hoch über der ruhenden Schneedecke schaukelt Tadashi Fuse im Takt des alten Sessellifts, der schon Generationen von Skifahrern befördert hat. Direkt unter der Liftlinie surft ein Snowboarder im frischen Pulver und entlockt Tadashi ein euphorisches „Yeah!“,  das von unten freudig erwidert wird.

Es gibt nur wenige Stammgäste in Tadashis Hausgebiet und natürlich kennt er jede:n Einzelne:n von ihnen – wie den Rider, der unter ihm seine Schwünge in den Schnee zieht und ihm vor fast 30 Jahren das Snowboarden beigebracht hat. Klar kennen die meisten Leute hier auch Tadashi. Als einen Snowboarder, der seinen eigenen Weg gegangen ist und der ein zentrales Bindeglied zwischen den Anfängen des Sports in Japan und der internationalen Big-Mountain-Freestyle-Bewegung war. Und vielleicht am wichtigsten: Tadashi ist bekannt als einer, von den es schon immer das Schönste war, die Freude an einer gelungenen Abfahrt zu teilen.

Frühe Pioniere

Tadashi wurde auf der japanischen Hauptinsel Honshu geboren. Jeden Winter strömen kalte Luftmassen aus Sibirien in den Süden, nehmen die Feuchtigkeit des Japanischen Meeres auf und treffen schließlich auf die Gebirgsketten, die sich entlang der Westküste der Insel erstrecken.  Das Ergebnis?  Gigantische Niederschläge schaffen in Kombination mit eisigen Temperaturen nicht nur perfekte Bedingungen mit meterhohem Schnee. Sie legen auch den Grundstein für eine Ski- und Snowboardindustrie, die sich über mehr als hundert Jahre entwickelt hat.

Anfang des 20. Jahrhunderts fand die moderne Art des Skifahrens ihren Weg aus den europäischen Alpen nach Japan. Um 1920 entstanden die ersten Skigebiete. In den 1950er-Jahren wurde Skifahren zu einem festen Bestandteil der japanischen Kultur.  Bis 1990 hatten sich landesweit rund 700 Skigebiete etabliert und verwandelten Japan in ein wahres Paradies für Wintersportler:innen. Gleichzeitig bahnte sich eine neue Sportart namens „Snowsurfing“ oder „Snowboarding“ ihren Weg in den Mainstream und sorgte zunächst auf Hokkaido, Japans nördlichster Hauptinsel, für Aufsehen. 1994 wusste der 16-jährige Skifahrer Tadashi noch nichts von dem neuen Sport, der die Skikultur in Europa, Nordamerika und Japan bald aufmischen würde. Aber schon damals zogen ihn die Berge magisch an.

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„Jeden Tag nach Schule nahm ich meine Ski und suchte nach frischem Schnee“, erinnert sich Tadashi.

Als begeisterter Skateboarder kannte Tadashi das Gefühl, sich seitlich auf einem Brett zu bewegen. Doch für eine Weile sollte es ein Traum bleiben, diese Form der Fortbewegung auf den Schnee zu übertragen. Das änderte sich, als ein erfahrener Skateboarder den jungen Tadashi traf.

„Er war nach seinem Training in einem Ramen-Restaurant in Tokio. Wir kannten uns nicht, aber er sah mich auf meinem Board und war begeistert. Er konnte es kaum glauben, dass es noch einen Skateboarder in seinem Viertel gab“, erinnert sich Tadashi.

„Er zeigte mir ein Snowboard-Video. Ich war sofort fasziniert. Irgendwie wusste ich, dass das mein Weg war. Noch lange bevor ich ein zum ersten Mal ein Snowboard unter den Füßen hatte.“

Das Video hieß ‚Road Kill’ und zeigte die Freeride-Legenden Bryan Iguchi und Jamie Lynn. Es war eine Mischung aus der grenzenlosen Freiheit der Berge, die Tadashi vom Skifahren kannte, gepaart mit der Kreativität und der Dynamik des Skateboardens. Der Film war ein Meilenstein für die aufstrebende Freeride-Welle der Neunziger. Die Tricks im Powder legendärer Skiorte in British Columbia, in Alaska und in Wyoming sowie der verspielte Umgang mit dem risikoreichen Gelände entfachte ein Feuer in Tadashi.  Das war genau der Sport, in dem er seine eigenen Grenzen austesten wollte. Es war eine Inspiration, die er der japanischen Winterszene und der ganzen Welt näherbringen wollte.

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„Er zeigte mir ein Snowboard-Video. Ich war sofort fasziniert. Irgendwie wusste ich, dass das mein Weg war. Noch lange bevor ich ein zum ersten Mal ein Snowboard unter den Füßen hatte“, erzählt Tadashi.

Tadashi auf der Überholspur

Heute ist Tadashi auf seinem Hausberg unterwegs, um seine Erfahrungen mit dem Arc’teryx Snowboardteam zu teilen. Er ist neugierig, was die neue Generation mit dem Gelände anstellen wird, das er über die Jahre so gut kennengelernt hat. Er schlüpft in die Rolle des Gastgebers und beobachtet, wie Sean Miskiman den Schnee in ordentlich angeordnete Blöcke schneidet. Keine Frage, Tadashi fährt immer noch auf höchstem Niveau. Doch heute geht es darum, dass die Athlet:innen beste Voraussetzungen für einen erfolgreichen Tag haben. Als er durch hüfthohen Schnee cruist, sieht er, worauf Sean sein Auge geworfen hat und freut sich. Ein paar Meter vor einem Absprungpunkt fixiert Sean einen unter der Schneelast gebückten Baum.

„Ich dachte … Miller Flip“, sagt Sean.

Tadashis Englischkenntnisse sind seit seiner Rückkehr aus Whistler im Jahr 2016 etwas eingerostet, aber einige Wörter hat er sich gemerkt. Vor fünfzehn Jahre gehörte der Miller Flip (ein Frontside Handplant, bei dem sich der Fahrer einmal komplett um die eigene Achse dreht) zu den Tricks, die Tadashis legendären Ruf in Whistler begründeten.  Er hat noch jede Menge Tricks auf Lager, aber heute entscheidet er sich, lieber am Boden zu bleiben. Obwohl die beiden mehr als 20 Jahre auseinanderliegen und ihre Heimatstädte durch den Pazifik getrennt sind, sind Tadashis und Seans Karrierewege und Fahrstile bemerkenswert ähnlich.

Wie Sean begann auch Tadashi seine Karriere im Slopestyle-Circuit. Nach einigen Erfolgen in Japan wurde Tadashi weltweit bekannt, als er am ersten Toyota Big Air in Sapporo teilnahm. Dieser Wettbewerb hostete im Laufe seiner 15-jährigen Geschichte mehrere Snowboardlegenden und konnte Preisgelder im sechsstelligen Bereich ausschreiben. Bei so einem Event mitzumachen, war ein Meilenstein in Tadashis Karriere und fast noch wichtiger, ein Moment des persönlichen Wachstums.

Doch Podiumsplätze waren nie das große Ziel von Tadashi. Auch während seines Mainstream-Erfolgs brannte der Traum, die Berge von British Columbia zu erkunden. Frei, ohne die Regeln und Einschränkungen des Wettkampfs. Er wusste, dass das der Weg war, den er als Snowboarder einschlagen wollte.

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„Meine Eltern konnten sehen, wie ich mich veränderte. Ich war immer schüchtern gewesen. Das Snowboarden gab mir Selbstvertrauen“, erinnert sich Tadashi. 

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Wenn ich nur in Japan riden würde, würde der Spalt zwischen mir und der Rest der Welt größer werden. Ich wollte zeigen, dass japanische Snowboarder auf internationaler Ebene erfolgreich sein können.“
Von Honshu nach British Columbia

Mitte der 90er-Jahre waren nur wenige Snowboarder:innen mutig genug, den Pazifik zu überqueren und sich in unbekanntes Terrain zu stürzen. Tadashi war einer von ihnen und zog nach Whistler. Heute ist das nicht mehr so außergewöhnlich wie damals. Die Szene hat sich weiterentwickelt und viele Rider:innen reisen auf der Jagd nach dem besten Schnee um die ganze Welt. Das ist auch der Grund, warum Tadashi, Sean und der Rest des Arc’teryx Teams sich in Japan getroffen haben.

Sean nimmt Anlauf, springt, dreht sich und hinterlässt nur einen faustgroßen Abdruck auf dem schneebedeckten Baum. Tadashi strahlt beim Anblick des perfekt gelandeten Tricks. Er weiß, was es bedeutet, einen Film zu produzieren und wie schön es ist, mit einer Crew an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Seine Begeisterung ist so lebendig wie eh und je – stets spürbar in seinem ansteckenden Lächeln. Genau das treibt Tadashi an.  Das unbeschreibliche Gefühl, das im Prozess der Arbeit und anschließenden Belohnung entsteht, wenn man tagelang Aufnahmen macht und diese Momente schließlich zu einem Video komponiert. Und wenn am Ende eine perfekte Mischung aus Clips und Musik entsteht, um Generationen von Snowboarder:innen zu inspirieren.  Ein Prozess, der Tadashi zu einer festen Größe in der Snowboard-Szene machte.

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Sean Miskiman Miller Flip

Tadashis sportlicher Aufstieg fiel in die Zeit des Snowboard-Booms. Nach seiner ersten Olympiateilnahme 1998 entschied sich das Olympische Komitee der Disziplin vier Jahre später in Salt Lake City eine weitere Chance zu geben. Auch die andere Seite des Sports, das Freeriden, erlebte gerade ihren Höhepunkt. Produktionsfirmen wie Mack Dawg Productions und Standard Films veröffentlichten jährlich Projekte, die die damals stark vernetzte Snowboard-Community in Staunen versetzten. Die Rider, Filmproduktionen und Marken, die in der Bewegung aktiv waren, schlugen einen komplett neuen Kurs ein. Tadashi war eng mit der Backcountry-Szene in Whistler verbunden. So erhielt er die Chance, mit Mack Dawg zu drehen, der Segmente für Filme wie „Shakedown“ produzierte. Auch wenn er sich in Whistler wohlfühlte und sich ein Leben rund um das Snowboarden aufgebaut hatte, zog ihn seine Heimat immer wieder in den Bann.

Nach über zehn Jahren in Whistler und einer ganzen Reihe von Filmsegmenten mit nordamerikanischen Produktionsfirmen wollte er sich wieder auf seinen Ursprung konzentrieren. Mit seiner eigenen Firma „Heart Films“ wollte er den Sportlight auf die japanische Szene richten.

„Ich gründete Heart Films, um japanische Snowboarder:innen in Weltklasse-Terrain zu zeigen“, erzählt er. „Japaner:innen konnten sich bis dahin nicht vorstellen, so zu fahren.“

Heart Films brachte eine Gruppe japanischer Snowboarder:innen zusammen, die den Sprung nach Whistler gewagt hatten. Sie veröffentlichten einige Streifen, die Tadashi und sein Team bekannt machten. 2006 erhielt seine Arbeit besondere Anerkennung: Sein damaliger Sponsor Burton designte gemeinsam mit ihm als erstem japanischen Athleten ein eigenes Pro-Snowboard.  Nach über zehn Jahren von einzigartigen Produktionen begann sich die Branche langsam von Videoclips und Printmagazinen abzuwenden. Beides Sparten, in denen sich Tadashi einen Namen gemacht hatte. Er wusste, dass seine Zeit in Kanada langsam dem Ende zuging. Gleichzeitig spürte er einen Drang zurück nach Japan zu gehen und die Berge seiner Heimat weiter zu erkunden.

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Einfache Freuden

Tadashi ist umringt von seiner Community. Er steht auf einem verlassenen Skihügel, der nicht weit von seinem Heimgebiet entfernt ist.  Zwischen den Sturmzyklen nimmt er sich Zeit, um gemeinsam mit dem Arc’teryx Team eine Art des Snowboardens zu genießen, die an die Anfänge dieses Sports erinnert – das Fahren auf Boards ohne Bindungen, auf Japanisch „Yuki-ika“ genannt. Wenn das Wetter innerhalb weniger Tage meterhoch Schnee ablädt, geraten Systeme wie Sessellifte und Bindungen schnell an ihre Grenzen und Angeschnalltsein erscheint lächerlich. Doch wenn die Bedingungen nicht ideal sind, weist Yuki-ika selbst die stärksten Fahrer:innen in ihre Grenzen. Die Wettervorhersage hat etwas Schnee angekündigt, aber heute machen Tadashi und das Team das Beste aus den jetzigen Verhältnissen.

Ein relativ langsamer Sturz am Fuß des Hangs beschert dem Fahrer Severin van der Meer ein blaues Auge. Während er seine Verletzung mit Eis und Sake kühlt, fährt Elena Hight langsam den sonnenverkrusteten Hang hinunter. Sie stürzt mehrmals und lacht die ganze Zeit. Tadashi und seine Frau beobachten die ausgelassene Freude.

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In ein paar Tagen wird Tadashi zu seinem Job als Baumpfleger zurückkehren. Er teilt sich seinen Winter fast immer noch so ein wie früher. Dabei versucht er, phasenweise viel zu arbeiten und zwischendurch genug Zeit zum Snowboarden zu finden. Heute sind da weniger Kameras und er macht sich weniger Stress wegen den Schneevorhersagen. Aber das Feuer in ihm brennt immer noch. Die Kreativität von Sean erinnerte ihn an seine Zeit im Rampenlicht und wirkte wie eine persönliche Motivationsspritze, wieder mehr Raum für seinen Sport freizuschaufeln.

„Ich bin jetzt beruflich voll eingebunden, aber snowboarden sollte immer gehen. Ich möchte den Leuten zeigen, dass man die Berge auch mit einem Vollzeitjob genießen kann“, sagt Tadashi.

Bei jedem Schritt auf seinem Weg stand Tadashis Wunsch im Mittelpunkt, anderen vor Augen zu führen, was möglich ist – ob er sich einer neuen Sportart zuwandte, sein Leben hinter sich ließ, um seine Träume in einem unbekannten Land zu verwirklichen oder jetzt zurück in Japan, anderen das ihm so vertraute Gelände zeigt.

Ein paar Tage nach ihrer sonnenverwöhnten Yuki-ika-Session jagt die Crew nun ein Sturmsystem in einem weiter südlich gelegenen Skigebiet. Noch vor einer Woche war Tadashi vor der Linse zurückhaltend und überließ Sean und den anderen den Vorrang. Doch heute hat er sich vom Gastgeber zum Kamerastar gewandelt. Er zeigt neben Robin Van Gyn und Joe Lax, was in ihm steckt. Dabei sprüht er vor Energie und freut sich, erneut Teil eines Filmprojekts zu sein – fast 30 Jahre nach Beginn seiner Profikarriere. Er hat so viel Spaß am Fahren und beeindruckt mit unglaublicher Kontrolle und hohem Tempo.

„Nicht alle Landungen und Turns müssen perfekt sein! Ab und zu muss es einen auch mal zerlegen“, ruft Robin, als sie Tadashi beobachtet, wie er etwas zu schnell über einen kleinen Buckel fährt, der geradezu nach einem Slash schreit. Das Manöver endet in einem rasanten Salto.

Tadashi lacht, kommt zum Stehen und schaut nach unten.

„Das versuche ich gleich noch mal!“

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