Text: Craig DeMartino
Heutzutage ist es nicht leicht, etwas zu finden, das man als echte Leidenschaft bezeichnen kann. Ich bin daran genauso schuld wie alle anderen, indem ich auf das leuchtende Viereck mit dem Apple-Logo in meiner Hand starre. Um ehrlich zu sein, ärgert mich das. Als ich vor 30 Jahren bei einem Junggesellenabschied das Klettern entdeckte, entwickelte sich dieser Sport für mich zu etwas, auf das ich mich fokussieren konnte, das gesund war und Spaß machte. In den Jahren nach diesem ersten Ausflug an einen kleinen, nur 10 m hohen Kletterfelsen außerhalb von Philadelphia, saugte ich das Klettern mit jeder Faser meines Körpers auf. Ich zog nach Colorado, um so nah wie möglich an den Bergen zu sein. Ich heiratete ein hübsches Klettermädchen und wir bekamen zwei Kinder, die wir draußen beim Klettern aufziehen wollten. Die Dinge liefen gut.
Bis es eines Tages vorbei war.
Am 21. Juli 2002 stürzte ich mehr als 30 m in die Tiefe. Dabei verlor ich mein rechtes Bein unterhalb des Knies und erlitt schwere Verletzungen an Rücken und Nacken. Das zwang mich dazu, mein Leben zu betrachten und darüber nachzudenken, was aus mir werden soll. Eine so schwere Verletzung bewirkt, dass man sich mit jeder Facette seines Lebens beschäftigt und die Zusammenhänge erkennt. Meine Ehe war wunderbar – und ist es noch immer. Meine Frau ist mein bester Freund und ein Partner, mit dem man Pferde stehlen kann. Aber ich definierte mich darüber, ein Kletterer zu sein. Deshalb entschied ich mich, nach den Monaten und Jahren, in denen ich bei vielen Operationen wieder zusammengeflickt wurde, wieder zu Klettern. Ich stellte fest, dass dieses Ziel und die Bewegung meine Verletzungen besser heilte als jede Physiotherapie und jede Medizin. Das Klettern bewirkte, dass ich mich wieder als unversehrte, vollständige Person fühlte – auch wenn mein Körper am Boden nicht mehr vollständig war. Alleine die Planung meiner Bewegungen in einer Route holte mich aus meinem kaputten Körper heraus – auch wenn es nur kurze, 20 m lange Routen waren. Das Klettern ermöglichte mir, präsent und aufmerksam zu sein – und das heilte mich. Ich wusste, das Klettern in dieser Form war mehr als nur eine Sache, die ich für mich selbst tat. Es war etwas, das ich an andere Leute, die einen schweren Unfall erlitten hatten, weitergeben könnte, um ihnen dabei zu helfen, aus dem Loch zu klettern, in das man nach einer traumatischen Verletzung fällt.

Nachdem ich von einem erfolgreichen Trip ins Yosemite Valley zurückgekehrt war, nahm ich ein paar Veteranen mit zum Klettern nach Boulder, ganz in der Nähe meines Wohnorts. Jeder von ihnen hatte irgendein Körperglied verloren und genau wie bei mir führte die Entschlossenheit und die Fokussierung, die sie für das Klettern benötigten, dazu, dass sie aufhörten zu grübeln und sich ganz auf den Augenblick konzentrierten. Da wusste ich, dass das Klettern für mich und die Leute, mit denen ich arbeiten würde, so viel mehr bedeuten könnte. Während ich mit Athleten hier in Colorado arbeitete, spürte ich, wie gut mir selbst diese Bewegungsmeditation tat, die ich ihnen vermittelte.
Auf einigen regionalen Kletterevents für Behinderte, bei denen ich arbeitete, traf ich ein paar Leute von Adaptive Adventures, einer in Denver ansässigen Non-Profit-Organisation. Nach ein paar gemeinsamen Aktionen fragten sie mich, ob ich für sie arbeiten und ihr Kletterprogramm ausbauen möchte, um körperlich behinderten Menschen dabei zu helfen, wieder aktiv zu werden.
Das ist der Punkt, an dem Leidenschaft der Weg zu etwas wird, das größer ist als man selbst.

Ich begann mit der Veterans Affairs Organization zusammenzuarbeiten, um verwundete Veteranen zum Klettern zu bringen, sowie mit einigen Clubs in denen sich Athleten mit unterschiedlichem Behinderungsgrad zum Klettern treffen und dort lernen sich mit ihrem „neuen“ Körper zu bewegen. Immer wieder sah ich die positive Entwicklung der Leute. Unversehrt, leidenschaftlich und glücklich – das waren die Ziele. Auch wenn wir sie nicht immer erreicht haben, so doch sehr oft.
Heute, 15 Jahre nach meinem Unfall, klettere ich fünf Tage pro Woche. Ich liebe meine Frau und meine Kinder und die Arbeit mit behinderten Athleten weltweit hat mir ein Ziel und eine Perspektive gegeben, die ich um nichts in der Welt missen möchte. Herauszufinden, wer man wirklich ist, ist für jeden eine komplizierte Sache. Eine lebensverändernde Verletzung – oder, in meinem Fall, Verletzungen – macht alles noch viel schwieriger. Ich habe festgestellt, dass das Klettern mehr für mich bedeutet als eine körperliche Herausforderung. Es ist ein Gedankenspiel, das dazu führt, dass ich mich auf den Augenblick fokussiere und aufmerksam werde. Es gibt nur wenige Dinge, die das bei mir bewirken können. Anderen Menschen das zu vermitteln, lässt mich dieses Gefühl immer wieder neu erleben. Wenn ich mit Leuten, die noch nie geklettert sind, in die Halle gehe, um es auszuprobieren, erlebe ich, wie sie ihren kaputten Körper die Wand hochziehen. Zurück am Boden hat sich plötzlich etwas in ihnen verändert. Sie fühlen, was ich fühle – vielleicht das erste Mal in ihrem Leben.
Sie sind präsent. Dafür braucht es kein Smartphone und keinen Computer.
Das Klettern und die Natur sind Fenster zu den Menschen, die wir in unserem Innersten sind. Wenn ich klettere – vor allem draußen – oder mich einfach nur in einem Klettergebiet aufhalte, spüre ich, dass sich Körper und Geist im Einklang befinden. Wie all die Athleten, mit denen ich arbeite, werde ich immer wieder abgelenkt. Aber das liegt in der menschlichen Natur und auch wenn ich mich darüber ärgere, sehe ich es als Teil der Kultur, in der wir leben.

Die Zeit beim Klettern und mit meiner Familie ist mir heilig, nicht nur für mein körperliches Wohlbefinden. Sie bewirkt, dass ich im Gleichgewicht bleibe, sie treibt mich an und verankert mich im Hier und Jetzt.
Leidenschaft entsteht auf viele unterschiedliche Arten. Für mich war ein Sturz aus gut 30 m Höhe der Katalysator für ein besseres, intensiveres Leben. Ich würde die Gegenwart nicht verändern wollen – auch wenn der Weg hierher sehr schwer war. Was ich erlebt habe, hat mich zu dem gemacht, was ich bin und es hilft mir, eine gesunde Perspektive auf das Leben zu behalten, indem ich, durch die Menschen mit denen ich arbeite, immer wieder die Kraft und die Belastbarkeit der menschlichen Seele erkenne.
Nehmt euch Zeit, eure Leidenschaft zu entdecken – was immer es ist – und folgt ihr. Lasst den Augenblick nicht einfach so vorbeiziehen, sondern taucht in ihm ein. Auch wenn es schwer oder schmerzhaft ist. Das sind die Dinge, die euch zu dem Menschen machen, zu dem ihr bestimmt seid.
Craig wird bei der Arc’teryx Climbing Academy 2018 in Squamish, BC, dabei sein, um am 20. Juli seinen aktuellen Film, „Craig’s Reaction“, zu präsentieren. Weitere Informationen unter: squamish.arcteryxacademy.com/speakers-music